01.03.2018 - 22:17
Meinung:
Urteil gegen Raser aufgehoben
Eine starke Entscheidung – für jeden von uns
01.03.2018, 21:04 Uhr | Ein Kommentar von Markus Abrahamczyk
Ist ein Mörder, wer mit 170 km/h in der Innenstadt einen Menschen tot rast? Ja, sagten die Richter im vergangenen Jahr. Heute wurde ihr Urteil vom Bundesgerichtshof kassiert. Mit unserem Gerechtigkeitsempfinden mag diese Entscheidung kaum vereinbar sein. Trotzdem ist sie gut.
Es war eine Montagnacht im Februar vor zwei Jahren. Klirrend kalt, das Thermometer steht bei -5 Grad. Es ist 0.55 Uhr. Die Stunde der Raser. Nur noch ein Augenblick, und die Tauentzienstraße wird zum Trümmerfeld. Mitten in Berlin, kurz vor den Toren des Kaufhauses KaDeWe.
Marvin N. und Hamdi H., beide damals gerade Mitte 20, liefern sich ein Rennen auf Leben und Tod. Vorbei an roten Ampeln, mit bis zu 170 km/h. Bezahlen aber wird ein anderer: Der Rentner Michael W. wird die Nacht nicht überleben.
Der Unbeteiligte hat Grün, als er mit seinem Wagen in die Hauptstraße einbiegt. Mit der Wucht einer Abrissbirne prallt einer der Raser in seinen Geländewagen. 70 Meter weit fliegen die Fetzen des Autos.
Ein Jahr später das Urteil des Berliner Landgerichts: Mord. Das gab es noch nie. Und die meisten Beobachter begrüßten den Berliner Richterspruch. Die beiden Raser aber gingen in Revision. Heute bekamen sie Recht. Wie kann das sein?
Natürlich schockieren die Fotos des zerfetzten Geländewagens. Natürlich macht der Tod eines Unbeteiligten wütend. So wird gewiss auch der Richter des Bundesgerichtshofs empfinden. Sein Job aber ist ein anderer.
In diesem Fall war zu beurteilen, ob tatsächlich die Merkmale eines Mordes vorlagen. Und zu diesen Merkmalen zählt unter anderem der Vorsatz: Der Täter muss sich im Klaren darüber sein, was er da tut. Und er muss es auch wollen.
Genau das aber mag die Schwachstelle am Berliner Mord-Urteil gewesen sein. Denn: Allem Irrsinn, allen roten Ampeln und auch Tempo 170 zum Trotz – die beiden Raser mögen gehofft haben, dass ihr Rennen gut ausgeht. Schließlich stand dabei auch ihr eigenes Leben auf dem Spiel, das sie wohl kaum hergeben wollten. Auch hätten sie in den Sekunden vor dem Crash gar nicht mehr handeln können – der tödliche Unfall war “unumkehrbar in Gang gesetzt“.
Deshalb sagt nun der Bundesgerichtshof: Es war kein Vorsatz – und damit kann es auch kein Mord gewesen sein. Das Berliner Urteil war also falsch.
Für viele Menschen sind solche Entscheidungen kaum nachvollziehbar. Der Staat muss aber mit Bedacht vorgehen. Hier ging es schließlich um lebenslange Haft: Ausgenommen lebenslang mit anschließender Sicherungsverwahrung ist es die härteste Strafe, die in unserem Land vorgesehen ist. Ausgerechnet zwei hitzköpfige Raser sollen sie erhalten? Wie viele Urteile werden umgekehrt wiederum als viel zu milde empfunden? War da der Berliner Richterspruch wirklich angemessen?
Und noch etwas kommt hinzu: Entscheidungen wie die heutige basieren – anders als unser Empfinden – eben nicht auf Trauer, Schock oder Wut. Sondern allein auf Tatsachen – beziehungsweise in diesem Fall auf dem Fehlen von Tatsachen (dem nicht erbrachten Nachweis des Vorsatzes). So bestätigen sie das Funktionieren unserer Justiz. Genau deshalb ist die heutige Entscheidung eine starke. Gerade weil wir sie emotional vielleicht nicht verstehen können.
http://www.t-online.de/auto/recht-und-ve...n-uns.html
Urteil gegen Raser aufgehoben
Eine starke Entscheidung – für jeden von uns
01.03.2018, 21:04 Uhr | Ein Kommentar von Markus Abrahamczyk
Ist ein Mörder, wer mit 170 km/h in der Innenstadt einen Menschen tot rast? Ja, sagten die Richter im vergangenen Jahr. Heute wurde ihr Urteil vom Bundesgerichtshof kassiert. Mit unserem Gerechtigkeitsempfinden mag diese Entscheidung kaum vereinbar sein. Trotzdem ist sie gut.
Es war eine Montagnacht im Februar vor zwei Jahren. Klirrend kalt, das Thermometer steht bei -5 Grad. Es ist 0.55 Uhr. Die Stunde der Raser. Nur noch ein Augenblick, und die Tauentzienstraße wird zum Trümmerfeld. Mitten in Berlin, kurz vor den Toren des Kaufhauses KaDeWe.
Marvin N. und Hamdi H., beide damals gerade Mitte 20, liefern sich ein Rennen auf Leben und Tod. Vorbei an roten Ampeln, mit bis zu 170 km/h. Bezahlen aber wird ein anderer: Der Rentner Michael W. wird die Nacht nicht überleben.
Der Unbeteiligte hat Grün, als er mit seinem Wagen in die Hauptstraße einbiegt. Mit der Wucht einer Abrissbirne prallt einer der Raser in seinen Geländewagen. 70 Meter weit fliegen die Fetzen des Autos.
Ein Jahr später das Urteil des Berliner Landgerichts: Mord. Das gab es noch nie. Und die meisten Beobachter begrüßten den Berliner Richterspruch. Die beiden Raser aber gingen in Revision. Heute bekamen sie Recht. Wie kann das sein?
Natürlich schockieren die Fotos des zerfetzten Geländewagens. Natürlich macht der Tod eines Unbeteiligten wütend. So wird gewiss auch der Richter des Bundesgerichtshofs empfinden. Sein Job aber ist ein anderer.
In diesem Fall war zu beurteilen, ob tatsächlich die Merkmale eines Mordes vorlagen. Und zu diesen Merkmalen zählt unter anderem der Vorsatz: Der Täter muss sich im Klaren darüber sein, was er da tut. Und er muss es auch wollen.
Genau das aber mag die Schwachstelle am Berliner Mord-Urteil gewesen sein. Denn: Allem Irrsinn, allen roten Ampeln und auch Tempo 170 zum Trotz – die beiden Raser mögen gehofft haben, dass ihr Rennen gut ausgeht. Schließlich stand dabei auch ihr eigenes Leben auf dem Spiel, das sie wohl kaum hergeben wollten. Auch hätten sie in den Sekunden vor dem Crash gar nicht mehr handeln können – der tödliche Unfall war “unumkehrbar in Gang gesetzt“.
Deshalb sagt nun der Bundesgerichtshof: Es war kein Vorsatz – und damit kann es auch kein Mord gewesen sein. Das Berliner Urteil war also falsch.
Für viele Menschen sind solche Entscheidungen kaum nachvollziehbar. Der Staat muss aber mit Bedacht vorgehen. Hier ging es schließlich um lebenslange Haft: Ausgenommen lebenslang mit anschließender Sicherungsverwahrung ist es die härteste Strafe, die in unserem Land vorgesehen ist. Ausgerechnet zwei hitzköpfige Raser sollen sie erhalten? Wie viele Urteile werden umgekehrt wiederum als viel zu milde empfunden? War da der Berliner Richterspruch wirklich angemessen?
Und noch etwas kommt hinzu: Entscheidungen wie die heutige basieren – anders als unser Empfinden – eben nicht auf Trauer, Schock oder Wut. Sondern allein auf Tatsachen – beziehungsweise in diesem Fall auf dem Fehlen von Tatsachen (dem nicht erbrachten Nachweis des Vorsatzes). So bestätigen sie das Funktionieren unserer Justiz. Genau deshalb ist die heutige Entscheidung eine starke. Gerade weil wir sie emotional vielleicht nicht verstehen können.
http://www.t-online.de/auto/recht-und-ve...n-uns.html
Mit freundlichen Grüßen von Ritchie
Der Klügere gibt solange nach, bis er merkt, dass er der Dümmere ist.
Der Klügere gibt solange nach, bis er merkt, dass er der Dümmere ist.