Fälle auch in Freiburg
Sexismus und Übergriffe: Wenn das Stadion zum Tatort wird
Von Joachim Röderer
Sa, 08. Oktober 2022 um 09:30 Uhr
Freiburg | 10
Die aktive Fanszene sagt, es habe rund um Spiele des SC Freiburg seit Mai sechs Fälle von sexualisierter Gewalt gegeben. Der Verein will reagieren und im Frühjahr ein Handlungskonzept vorlegen.
Nach Aussagen der Corrillo Ultras soll es seit dem Pokalfinale im Mai mindestens sechs Fälle von sexualisierter Gewalt bei Heim- und Auswärtsspielen des SC Freiburg gegeben haben. Bei der Polizei sind zwei Fälle aktenkundig. Foto: Tom Weller
Nach Mitteilung der Fangruppierung Corrillo Ultras ist es seit dem DFB-Pokalfinale bei Heim- und Auswärtsspielen des SC Freiburg zu mindestens sechs Vorfällen sexualisierter Gewalt gekommen. Zwei Fälle sind bei der Freiburger Polizei aktenkundig. Die aktive Fanszene fordert vom SC Freiburg ein lokales Handlungskonzept – so wie es andere Bundesligisten bereits aufgelegt haben. Der SC räumt selbstkritisch die zu schleppende Bearbeitung des Themas ein und verspricht, im Frühjahr das geforderte Konzept vorzulegen. "Haltung zeigen gegen sexualisierte Gewalt", stand Weiß auf Rot geschrieben: Mit großen Spruchbändern haben die Ultras am vergangenen Samstag ihrer Unzufriedenheit Luft gemacht und dem SC Untätigkeit vorgeworfen.
In einem Beitrag auf ihrer Homepage berichten die Corrillo Ultras, ohne nähere Informationen zu nennen, von mindestens sechs Fällen, zu denen es nach ihrer Darstellung bei Heim- und Auswärtsmatches in verschiedenen Bereichen der Stadien gekommen sei: "Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle und dies dürfte nur ein Bruchteil dessen sein, was vor allem Frauen Spieltag für Spieltag im Stadion und drumherum erleben müssen." Bei der Polizei heißt es auf BZ-Nachfrage, dass bei ihren szenekundigen Beamten aus jetziger Sicht zwei Fälle bekannt sind, in denen ermittelt werde.
Sexualisierte Gewalt, Homophobie und Queerfeindlichkeit
Der Verein müsse, so die Ultras, ein Netzwerk zum Umgang mit sexualisierter Gewalt aufbauen und Mitarbeitende und Fans sensibilisieren. Es brauche ein funktionierendes Beschwerdemanagement, für das geschulte Ansprechpartnerinnen und -partner mit einem Rückzugsraum am Spieltag unerlässlich seien.
Schon vor gut vier Jahren hat es einen Frauenbrunch von und für SC-Fans gegeben, bei welchem sich Fans unter anderem zum Thema Sexismus und sexualisierte Gewalt ausgetauscht haben, berichtet Steffi Renz von der Faninitiative Supporters Crew Freiburg. Besonders im Nachgang dazu habe es bei Spieltagen Rückmeldungen am Infostand gegeben. Sie betont, dass es nicht nur um sexualisierte Gewalt gehe, sondern genauso um Homophobie und Queerfeindlichkeit.
SC ignorierte fertiges Konzept
Schon vor Jahren hätten Studierende der Evangelischen Hochschule mit Fans und Vereinsverantwortlichen gesprochen: "Dem Verein wurde damals ein Konzept auf dem Silbertablett serviert. Aber beim SC hieß es immer: Wir haben keine Kapazität", so Steffi Renz. Es brauche ein Gesamtkonzept, sagt sie, "und zwar besser gestern als heute." Fertig ausgearbeitete Konzepte liegen schon lange auf dem Tisch – etwa vom Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt, dessen Leitfaden vom November 2019 auch vom Deutschen Fußballbund und der Deutschen Fußballliga unterstützt worden ist.
Beim Sport-Club bezweifelt man nicht, dass die Fälle, welche die Ultras öffentlich angesprochen haben, passiert sind. Die Kritik der Fans vom vergangenen Samstag nimmt der Verein durchaus an. Das Thema soll nun priorisiert werden. "Der Sport-Club beschäftigt sich schon länger mit dem Thema. Wir werden in der Winterpause ein Handlungskonzept erarbeiten, mit dem Ziel, es im Frühjahr zu implementieren", sagt Arne Stratmann, neuer Leiter Gesellschaftliche Kommunikation und Fans beim SC. Bereits in dieser Woche hat ein Gespräch mit der Beratungsstelle Frauenhorizonte stattgefunden – das aber schon vor der Fanaktion angesetzt worden sei.
Berlin zeigt, wie es geht
Frauenhorizonte findet es richtig und notwendig, das Thema sexuelle Belästigung im Stadion anzugehen. Man stehe dem SC dafür gerne beratend zur Seite, so Frauenhorizonte Sprecherin Pia Kuchenmüller: "Wichtig finden wir, auch mit Hinblick auf die aktuelle Debatte, sich zeitnah klar zu positionieren und Maßnahmen aufzugleisen wie etwa Schulungen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Informationen für die, die Unterstützung brauchen."
Anschauungsunterricht, wie ein umgesetztes Handlungskonzept aussieht, können die Freiburger am Sonntag im Berliner Olympiastadion erhalten. Hertha BSC hat zur Saison 2022/23 sein Schutzkonzept "Wo ist Lotte?" gegen Diskriminierung und grenzüberschreitende Übergriffe gestartet. Geschützt werden sollen Heim- und Gästefans. Es gibt Helfende des Teams Lotte in pinken Westen, einen Schutzraum unter der Tribüne, eine Hotline, die per SMS, Whatsapp oder Anruf erreichbar ist und eine entsprechende Mailadresse. Und: Mit dem Codewort "Wo ist Lotte?" können sich Betroffene in oder nach unangenehmen Situationen an sämtliches Stadion- und Hertha-Personal wenden.
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