Warum Stuttgart sich unnötig echauffiert
Von Alex Feuerherdt
Der VfB Stuttgart ist zurück in der Bundesliga - und hadert im Spiel gegen den SC Freiburg gleich mit dem "Kölner Keller". Zu Unrecht - was aber erst bei ganz genauem Hinsehen deutlich wird. In Bremen achtet der Videoassistent ebenfalls auf jeden Millimeter.
Es lief bereits die Nachspielzeit in der Partie des VfB Stuttgart gegen den SC Freiburg, die Gastgeber hatten einen 0:3-Rückstand auf 2:3 verkürzt und drängten nun vehement auf den Ausgleich. Die Gäste mussten plötzlich um den sicher geglaubten Sieg bangen und stemmten sich dagegen. Als es einen Freistoß für den Aufsteiger auf der Außenbahn gab, den Philipp Klement in den Strafraum befördern sollte, versammelten sich, wie so oft in solchen Situationen, zahlreiche Spieler auf engstem Raum; sie schoben und hielten dabei ein bisschen, sie drückten und zerrten aneinander.
Das alles blieb jedoch im üblichen, im gewohnten Rahmen - mit einer Ausnahme: Der Freiburger Lucas Höler umklammerte seinen Gegenspieler Waldemar Anton ganz fest mit beiden Armen, hinderte ihn auf diese Weise daran, näher vors Tor zu gelangen, und zog ihn schließlich zu Boden. Schiedsrichter Benjamin Cortus pfiff jedoch nicht - er hatte den Zweikampf vermutlich nicht beobachtet, was man ihm aber nicht zum Vorwurf machen sollte. Denn es ist schlicht nicht möglich, mehrere Spielerpaare, die sich mit den Armen bearbeiten, gleichzeitig genau im Blick zu haben.
Höler beendet Klammern noch rechtzeitig
Aber da gab es ja noch die Video-Assistentin Bibiana Steinhaus. Es war zu sehen, dass der Unparteiische mit ihr in Verbindung stand; in Köln wurde die Szene natürlich überprüft. Doch es gab keine Empfehlung an Cortus, sich die Szene noch einmal am Monitor in der Review Area anzusehen, sondern vielmehr das Okay für ihn. Darüber wunderten sich viele, vor allem im Lager des VfB, aber auch Kommentatoren und Experten: Das Halten war doch sonnenklar, das durfte man doch nicht einfach ungestraft lassen, es musste doch nachträglich einen Elfmeter geben! Wie konnte es sein, dass Steinhaus dieses Vergehen einfach durchwinkte?
Die Antwort ergibt sich, wenn man die Szene genau im Moment der Freistoßausführung durch Klement anhält. Dann nämlich sieht man, dass Höler seinen Klammergriff gerade noch rechtzeitig gelöst hatte und Anton bereits im Sturz begriffen war. Mit anderen Worten: Das Haltevergehen fand statt, als der Freistoß noch nicht ausgeführt war, und es war beendet, als der Ball wieder ins Spiel kam. Mit einem Freistoß oder Strafstoß kann ein Vergehen laut Regel 12 (Fouls und unsportliches Betragen) aber nur dann geahndet werden, wenn der Ball zum Zeitpunkt des Vergehens im Spiel ist. Das ist gleichwohl kein Freifahrtschein, denn eine Gelbe oder Rote Karte für den betreffenden Spieler kann es trotzdem geben.
Die Krux mit den VAR-Befugnissen
In diesem konkreten Fall heißt das: Eigentlich hätte es eine Wiederholung des Freistoßes geben müssen, weil vor dessen Ausführung eine Regelwidrigkeit stattgefunden hatte. Außerdem wäre eine Verwarnung für Höler angebracht gewesen, was Gelb-Rot für den Freiburger bedeutet hätte, weil er bereits verwarnt war. Das alles hätte allerdings vorausgesetzt, dass Benjamin Cortus das Vergehen selbst wahrgenommen hat. Denn Bibiana Steinhaus durfte hier nicht eingreifen: Weil ein Elfmeter regeltechnisch nicht in Betracht kam und das Halten von Höler kein Fall für eine glatt Rote Karte war, schied eine Intervention nach Abschluss der Überprüfung aus. Es lag schließlich weder ein klarer und offensichtlicher Fehler vor noch ein übersehener schwerwiegender Vorfall.
Bereits in der 75. Minute hatten die Stuttgarter protestiert, als Philipp Lienhart den Ball im eigenen Strafraum mit dem linken Oberarm gespielt hatte, der gut postierte Referee das Handspiel jedoch nicht als strafbar bewerten mochte. Tatsächlich war der Arm des Freiburgers in dieser Situation nahe am Körper und hing normal herab, die Haltung war also natürlich. Andererseits hatte Lienhart mit dem Oberkörper samt angelegtem Arm eine kurze Bewegung zum Ball unternommen. Da der Schiedsrichter diesen Vorgang selbst wahrgenommen und bewertet hatte, war die Eingriffsschwelle für die Video-Assistentin hoch. Es gibt fraglos Argumente für einen Handelfmeter, aber es wäre unangemessen, hier von einem klaren und offensichtlichen Fehler des Unparteiischen zu sprechen, der zwingend einen Eingriff hätte nach sich ziehen müssen.
Was sonst noch wichtig war:
In der Begegnung zwischen dem 1. FC Köln und der TSG 1899 Hoffenheim (2:3) dagegen intervenierte der VAR kurz vor der Pause. Nach einem Zweikampf im Kölner Strafraum zwischen dem Hoffenheimer Christoph Baumgartner und Rafael Czichos, bei dem der Ball schließlich ins Toraus ging, hatten die Gäste einen Strafstoß reklamiert. Schiedsrichter Daniel Siebert, dem im entscheidenden Augenblick die Sicht versperrt war, hatte zunächst gar keine Entscheidung getroffen, denn ihm fehlte die Wahrnehmung. Es kam zu einem On-Field-Review, das der VAR nicht nur bei klaren und offensichtlichen Fehlern empfiehlt, sondern auch bei einem verpassten, womöglich gravierenden Vorfall - und das der Unparteiische im Übrigen auch auf eigenen Wunsch in Anspruch nehmen kann, wenngleich das nur selten geschieht. Am Monitor sah Siebert, dass Baumgartner einen Wimpernschlag eher am Ball war als Czichos und danach vom Kölner zu Fall gebracht wurde. Die folgende Strafstoßentscheidung geht daher in Ordnung.
Auch im Spiel Werder Bremen gegen Hertha BSC (1:4) gab es kurz vor der Halbzeit einen Eingriff des VAR, allerdings aus einem anderen Grund: Schiedsrichter Sascha Stegemann hatte nach einem Foulspiel von Marco Friedl an Peter Pekarik auf Strafstoß für die Berliner entschieden, doch der Video-Assistent stellte bei der Überprüfung fest, dass sich das Vergehen außerhalb des Strafraums zugetragen hatte. Deshalb änderte der Referee seine Entscheidung und erkannte auf Freistoß. Darüber runzelte mancher die Stirn, schließlich hatte Friedl seinen Gegner mit dem linken Fuß direkt auf der Strafraumlinie getroffen, die bekanntlich zum Strafraum gehört. Doch unmittelbar zuvor hatte er Pekarik mit dem rechten Fuß außerhalb des Sechzehners zu Fall gebracht. Und die Regelauslegung sieht vor, dass in solchen Fällen prinzipiell der erste strafwürdige Kontakt maßgeblich ist. Eine Ausnahme bilden Haltevergehen, die länger andauern können und bei denen es entscheidend ist, wo sie wirksam werden. Das heißt: Wer außerhalb des Strafraums einem Gegner ans Trikot greift, ihn aber erst im Strafraum zu Boden reißt, wird mit einem Elfmeter bestraft.
Quelle: ntv.de
Von Alex Feuerherdt
Der VfB Stuttgart ist zurück in der Bundesliga - und hadert im Spiel gegen den SC Freiburg gleich mit dem "Kölner Keller". Zu Unrecht - was aber erst bei ganz genauem Hinsehen deutlich wird. In Bremen achtet der Videoassistent ebenfalls auf jeden Millimeter.
Es lief bereits die Nachspielzeit in der Partie des VfB Stuttgart gegen den SC Freiburg, die Gastgeber hatten einen 0:3-Rückstand auf 2:3 verkürzt und drängten nun vehement auf den Ausgleich. Die Gäste mussten plötzlich um den sicher geglaubten Sieg bangen und stemmten sich dagegen. Als es einen Freistoß für den Aufsteiger auf der Außenbahn gab, den Philipp Klement in den Strafraum befördern sollte, versammelten sich, wie so oft in solchen Situationen, zahlreiche Spieler auf engstem Raum; sie schoben und hielten dabei ein bisschen, sie drückten und zerrten aneinander.
Das alles blieb jedoch im üblichen, im gewohnten Rahmen - mit einer Ausnahme: Der Freiburger Lucas Höler umklammerte seinen Gegenspieler Waldemar Anton ganz fest mit beiden Armen, hinderte ihn auf diese Weise daran, näher vors Tor zu gelangen, und zog ihn schließlich zu Boden. Schiedsrichter Benjamin Cortus pfiff jedoch nicht - er hatte den Zweikampf vermutlich nicht beobachtet, was man ihm aber nicht zum Vorwurf machen sollte. Denn es ist schlicht nicht möglich, mehrere Spielerpaare, die sich mit den Armen bearbeiten, gleichzeitig genau im Blick zu haben.
Höler beendet Klammern noch rechtzeitig
Aber da gab es ja noch die Video-Assistentin Bibiana Steinhaus. Es war zu sehen, dass der Unparteiische mit ihr in Verbindung stand; in Köln wurde die Szene natürlich überprüft. Doch es gab keine Empfehlung an Cortus, sich die Szene noch einmal am Monitor in der Review Area anzusehen, sondern vielmehr das Okay für ihn. Darüber wunderten sich viele, vor allem im Lager des VfB, aber auch Kommentatoren und Experten: Das Halten war doch sonnenklar, das durfte man doch nicht einfach ungestraft lassen, es musste doch nachträglich einen Elfmeter geben! Wie konnte es sein, dass Steinhaus dieses Vergehen einfach durchwinkte?
Die Antwort ergibt sich, wenn man die Szene genau im Moment der Freistoßausführung durch Klement anhält. Dann nämlich sieht man, dass Höler seinen Klammergriff gerade noch rechtzeitig gelöst hatte und Anton bereits im Sturz begriffen war. Mit anderen Worten: Das Haltevergehen fand statt, als der Freistoß noch nicht ausgeführt war, und es war beendet, als der Ball wieder ins Spiel kam. Mit einem Freistoß oder Strafstoß kann ein Vergehen laut Regel 12 (Fouls und unsportliches Betragen) aber nur dann geahndet werden, wenn der Ball zum Zeitpunkt des Vergehens im Spiel ist. Das ist gleichwohl kein Freifahrtschein, denn eine Gelbe oder Rote Karte für den betreffenden Spieler kann es trotzdem geben.
Die Krux mit den VAR-Befugnissen
In diesem konkreten Fall heißt das: Eigentlich hätte es eine Wiederholung des Freistoßes geben müssen, weil vor dessen Ausführung eine Regelwidrigkeit stattgefunden hatte. Außerdem wäre eine Verwarnung für Höler angebracht gewesen, was Gelb-Rot für den Freiburger bedeutet hätte, weil er bereits verwarnt war. Das alles hätte allerdings vorausgesetzt, dass Benjamin Cortus das Vergehen selbst wahrgenommen hat. Denn Bibiana Steinhaus durfte hier nicht eingreifen: Weil ein Elfmeter regeltechnisch nicht in Betracht kam und das Halten von Höler kein Fall für eine glatt Rote Karte war, schied eine Intervention nach Abschluss der Überprüfung aus. Es lag schließlich weder ein klarer und offensichtlicher Fehler vor noch ein übersehener schwerwiegender Vorfall.
Bereits in der 75. Minute hatten die Stuttgarter protestiert, als Philipp Lienhart den Ball im eigenen Strafraum mit dem linken Oberarm gespielt hatte, der gut postierte Referee das Handspiel jedoch nicht als strafbar bewerten mochte. Tatsächlich war der Arm des Freiburgers in dieser Situation nahe am Körper und hing normal herab, die Haltung war also natürlich. Andererseits hatte Lienhart mit dem Oberkörper samt angelegtem Arm eine kurze Bewegung zum Ball unternommen. Da der Schiedsrichter diesen Vorgang selbst wahrgenommen und bewertet hatte, war die Eingriffsschwelle für die Video-Assistentin hoch. Es gibt fraglos Argumente für einen Handelfmeter, aber es wäre unangemessen, hier von einem klaren und offensichtlichen Fehler des Unparteiischen zu sprechen, der zwingend einen Eingriff hätte nach sich ziehen müssen.
Was sonst noch wichtig war:
In der Begegnung zwischen dem 1. FC Köln und der TSG 1899 Hoffenheim (2:3) dagegen intervenierte der VAR kurz vor der Pause. Nach einem Zweikampf im Kölner Strafraum zwischen dem Hoffenheimer Christoph Baumgartner und Rafael Czichos, bei dem der Ball schließlich ins Toraus ging, hatten die Gäste einen Strafstoß reklamiert. Schiedsrichter Daniel Siebert, dem im entscheidenden Augenblick die Sicht versperrt war, hatte zunächst gar keine Entscheidung getroffen, denn ihm fehlte die Wahrnehmung. Es kam zu einem On-Field-Review, das der VAR nicht nur bei klaren und offensichtlichen Fehlern empfiehlt, sondern auch bei einem verpassten, womöglich gravierenden Vorfall - und das der Unparteiische im Übrigen auch auf eigenen Wunsch in Anspruch nehmen kann, wenngleich das nur selten geschieht. Am Monitor sah Siebert, dass Baumgartner einen Wimpernschlag eher am Ball war als Czichos und danach vom Kölner zu Fall gebracht wurde. Die folgende Strafstoßentscheidung geht daher in Ordnung.
Auch im Spiel Werder Bremen gegen Hertha BSC (1:4) gab es kurz vor der Halbzeit einen Eingriff des VAR, allerdings aus einem anderen Grund: Schiedsrichter Sascha Stegemann hatte nach einem Foulspiel von Marco Friedl an Peter Pekarik auf Strafstoß für die Berliner entschieden, doch der Video-Assistent stellte bei der Überprüfung fest, dass sich das Vergehen außerhalb des Strafraums zugetragen hatte. Deshalb änderte der Referee seine Entscheidung und erkannte auf Freistoß. Darüber runzelte mancher die Stirn, schließlich hatte Friedl seinen Gegner mit dem linken Fuß direkt auf der Strafraumlinie getroffen, die bekanntlich zum Strafraum gehört. Doch unmittelbar zuvor hatte er Pekarik mit dem rechten Fuß außerhalb des Sechzehners zu Fall gebracht. Und die Regelauslegung sieht vor, dass in solchen Fällen prinzipiell der erste strafwürdige Kontakt maßgeblich ist. Eine Ausnahme bilden Haltevergehen, die länger andauern können und bei denen es entscheidend ist, wo sie wirksam werden. Das heißt: Wer außerhalb des Strafraums einem Gegner ans Trikot greift, ihn aber erst im Strafraum zu Boden reißt, wird mit einem Elfmeter bestraft.
Quelle: ntv.de



