London spielt beim Brexit auf Zeit
"Diese Unsicherheit halten die Briten nicht durch"
28.06.2016, 17:43 Uhr | Christian Kreutzer, t-online.de
Viele EU-Politiker würden die Briten nach dem Brexit-Referendum am liebsten sofort aus der EU werfen. Doch das geht nicht: Nur die Briten selbst können den Prozess in Gang setzen - und sie wollen Gegenleistungen. Ist die EU machtlos?
Schon jetzt ist klar: Das Königreich fordert luxuriöse Zugangsbedingungen zum Binnenmarkt - vorher wollen sie den Ausstiegsprozess, den der Paragraf 50 des EU-Vertrags vorschreibt, nicht beginnen. Viele fürchten: Bald könnten die eigenwilligen Briten die EU wie schon früher am Nasenring durch die Manege führen.
"Großbritannien wacht gerade auf"
Wenn das EU-Parlament heute morgen in Brüssel zusammentritt, halten sich die Sorgen darüber allerdings in Grenzen. Im Gegenteil: Abgeordnete, Rat und Kommissionsmitglieder fühlen sich in einer starken Position.
Bei den Briten könnte dagegen langsam die Katerstimmung einsetzen: "Großbritannien wacht gerade auf", so Europa-Parlamentarier Michael Gahler (CDU) zu t-online.de.
Im Klartext: Das Pfund fällt und fällt, bereits zwei große Rating-Agenturen - Standard & Poor's und Fitch - haben die Kreditwürdigkeit des Landes abgesenkt und sehen den weiteren Ausblick negativ. Erste Firmen wie der Billigflieger easyJet senken ihre Gewinnerwartungen.
Und dann sind da noch die Banken: "Wer London als Einfallstor in die EU nutzt, dürfte sich jetzt nach einer neuen Niederlassung in Frankfurt umsehen", glaubt Gahler. Dazu zählten vor allem Institute aus vornehmlich englisch-sprachigen Ländern wie Kanada, den USA oder Indien.
"Wir machen denen keine Angebote"
Erstmals seit Monaten gehe es jetzt nicht mehr um Lügen und "schmutzigen Nationalismus", sondern um "Facts and Figures", stellt Gahler fest. Und da zeige sich: "Die Briten haben keinen Plan B." Juristisch säßen sie zwar am längeren Hebel, nicht aber in der Realität. Gahler: "Diese Unsicherheit halten die Briten nicht durch."
Gahlers CDU- und Parlamentskollege Elmar Brok bekräftigt derweil: "Die Verträge werden nicht neu verhandelt, solange Großbritannien nicht den Austritt erklärt hat." Absprachen treffe man mit der Londoner Regierung nur als Drittstaat. Auch Brok sieht die EU am längeren Hebel - nämlich durch die Börsen: "Diese Hängepartie machen die Märkte nicht lange mit."
Nachahmereffekte, beispielsweise bei den Niederländern, befürchtet Broks Kollege Gahler nicht: "Die Niederlande sehen jetzt, wie es den Briten geht." Die zerlegten sich gerade selbst, sagt Gahler mit Verweis auf Camerons Rücktritt, die Proteste gegen Labour-Chef Jeremy und die Sezessionswünsche der Schotten und möglicherweise auch der Nordiren.
Und Gahler versichert: "Wir machen denen keine Angebote, bevor sie den Antrag stellen." Der Antrag nach Paragraf 50 begrenzt die Austrittsphase auf zwei Jahre. Gibt es danach keine Einigungen, ist Großbritannien trotzdem raus.
http://www.t-online.de/nachrichten/ausla...tlos-.html