Rech, Hrubesch und Kellermann beim Gipfel im Frauen-Fußball
"Im Verein haben wir unter der WM gelitten"
Das Trio gehört zu den den derzeit einflussreichsten Entscheidern im deutschen Frauen-Fußball: Bayerns Sportliche Leiterin Bianca Rech (42), Wolfsburgs Sportchef Ralf Kellermann (55) und Bundestrainer Horst Hrubesch (72) sprechen im kicker-Interview (Donnerstagausgabe) über die Liga und die Nationalelf.
Bundestrainer Horst Hrubesch, Bayerns Sportliche Leiterin Bianca Rech und Wolfsburgs Sportchef Ralf Kellermann. imago images (3)
Die Qualifikation für die olympischen Spiele im kommenden Sommer ist weiter möglich - und vor dem Duell Mitte Februar mit Frankreich für die Nationalmannschaft zumindest in greifbarer Nähe. "Ich habe nie daran gezweifelt, dass wir den Gruppensieg holen, weil ich weiß, welche Qualität in der Mannschaft steckt", sagt Bundestrainer Horst Hrubesch im Rückblick auf die Erfolge in der Nations League, die diese Chance erst möglich machten.
Da ist für den ehemaligen Profi von Rot-Weiss Essen und dem Hamburger SV aber noch nicht Schluss. "Mir ist wichtig zu betonen, dass wir nicht nur bei Olympia dabei sein wollen, sondern auch im ersten Schritt die Nations League gewinnen wollen", sagt der Bundestrainer im Dreier-Interview in der aktuellen Donnerstagausgabe des kicker und weiter: "Olympia kommt danach. Wir werden angreifen."
An solch selbsbewusste Worte war nach dem großen Scheitern der DFB-Elf bei der WM im Sommer in Australien und Neuseeland noch nicht zu denken, doch unter Hrubesch spielt Deutschland wieder stärker. "Wir haben im Verein unter der enttäuschenden WM sehr gelitten. Unsere Spielerinnen waren zum Teil mental am Boden", sagt etwa Ralf Kellermann, der mit dem VfL Wolfsburg einen großen Teil des DFB-Kaders abstellte.
Für Bayerns Bianca Rech war es "sportlich am Ende ein gutes Jahr" - klar, holte sie mit den Münchnerinnen auch die Meisterschale und mit Magdalena Eriksson und Pernille Harder zwei Top-Stars in die Bundesliga. "Wir müssen es schaffen, Spielerinnen aus dem Ausland für diese Liga zu begeistern", glaubt die Bayern-Chefin, findet aber auch mit Blick auf die einst große sportliche Kluft: "Die Liga rückt enger zusammen."
Rech, Kellermann und Hrubesch werben außerdem für eine weitere Professionalisierung, etwa beim VAR und den Schiedsrichterinnen. Und fordern durch Rech sogar die Öffnung hin zu mänlichen Unparteiischen. So fragt Rech mit klarer Absicht: "Warum sind wir nicht in der Lage, in der Frauen-Bundesliga die Tore für männliche Schiedsrichter zu öffnen?"
Wie Hrubesch seine weitere Zukunft als Bundestrainer sieht, welche Rolle die neue DFB-Direktorin Nia Künzer spielen soll und wieso die Einführung einer weiblichen U-21-Nationalmannschaft Sinn ergeben würde, lesen Sie im vollständigen Dreier-Interview in der gedruckten Donnerstagausgabe des kicker oder ab Mittwochabend im eMagazine.
jim
Quelle
Auch Schiedsrichter im Frauenfußball und die CL-Reform werden thematisiert
Der Gipfel im Frauenfußball: Rech, Kellermann und Hrubesch im Interview
01.01.24 - 14:00
Eine ganze Branche im Wandel: Bayerns Bianca Rech (42), Wolfsburgs Ralf Kellermann (55) und Bundestrainer Horst Hrubesch (72) sprechen im kicker-Interview über die Liga und die Nationalelf.
Sprachen im kicker-Interview über die Liga und die Nationalelf: Bayerns Bianca Rech (li.), Wolfsburgs Ralf Kellermann (mi.) und Bundestrainer Horst Hrubesch (re.). picture alliance (3)
Mehr als eine Stunde nehmen sich drei der wichtigsten Entscheider im deutschen Frauen-Fußball Zeit für den kicker - und demonstrieren später ungewohnte Einigkeit: Die Freigabe des Interviews koordiniert die Pressesprecherin des DFB für alle Beteiligten.
Herr Hrubesch, wie groß ist die Erleichterung, dass Ihr Team dem Ziel Olympia ein Stück nähergekommen ist?
Hrubesch: Das war die Aufgabe, die wir zu lösen hatten. Ich habe nie daran gezweifelt, dass wir den Gruppensieg holen, weil ich weiß, welche Qualität in der Mannschaft steckt. Die Spielerinnen sind top ausgebildet. Es war einfach wichtig, die Spielerinnen mitzunehmen, ihnen das Vertrauen zu geben und ihnen zu bestätigen, welche Qualität sie eigentlich haben. Das war entscheidend. Wichtig ist, dass alle mitgezogen haben, auch die Vereine. Dafür bin ich sehr dankbar.
Frau Rech, waren Sie auch immer überzeugt, dass es klappt?
Rech: Wir wussten, wenn der Spaß zurückkommt und die Spielerinnen an sich glauben, kann es was werden. Wichtig ist, dass der Traum Olympia weiter geträumt werden darf.
Wie groß war denn Ihr Glaube, Herr Kellermann?
Kellermann: Immer bei 100 Prozent. Die Qualität ist ja da. Wichtig war, dass Horst keine Zweifel zugelassen hat und selbstbewusst aufgetreten ist. Das hat sich dann auch auf die Mannschaft übertragen. Es ist ein großer Schritt, und die Vereine sind sehr glücklich darüber.
Wie wichtig war es, dass dieses lange Zeit so enttäuschende Jahr versöhnlich endet?
Rech: Es ist enorm wichtig, dass die Mädels diesen Schub ins neue Jahr mitnehmen können und positiv ins neue Jahr starten nach der enttäuschenden WM.
Ich nehme an, Sie sehen das ähnlich, Herr Kellermann.
Kellermann: Absolut. Ein Scheitern in der Gruppenphase der Nations League wäre fatal gewesen. Wir haben im Verein unter der enttäuschenden WM sehr gelitten. Unsere Spielerinnen waren zum Teil mental am Boden, und das hat recht lange angedauert. Wir sind äußerst glücklich über den guten Jahresausklang.
Herr Hrubesch, wie schlimm war es für Sie, dass die Spielerinnen so am Boden waren?
Hrubesch: Ich bin ja ein positiver Typ und gucke nicht zurück. Deshalb habe ich auch nichts aus der Vergangenheit aufgearbeitet, sondern habe in die Mannschaft reingehört. Ich hatte vorher Kontakt zu den Vereinen und wusste in etwa, was auf mich zukommt. Entscheidend war, dass die Mädels mich angenommen haben und wie wir miteinander kommunizieren, auch mit den Vereinen und dem DFB. Das ist ein Gesamtpaket. Alle haben einen guten Job gemacht. Das hat von der ersten Minute an funktioniert. Wir haben den Mädels Luft zum Atmen gegeben, nicht eine Sitzung nach der anderen angesetzt. Fußball ist einfach. Der hat sich auch nicht verändert.
Und jetzt wartet Frankreich in der Nations League.
Hrubesch: Wir hatten uns Frankreich gewünscht. Die sind als Gastgeber ohnehin bei Olympia dabei, sodass wir uns auch mit einer Niederlage im Halbfinale noch für Olympia qualifizieren können. Mir ist aber wichtig zu betonen, dass wir nicht nur bei Olympia dabei sein wollen, sondern auch im ersten Schritt die Nations League gewinnen wollen. Olympia kommt danach. Wir werden angreifen.
Kellermann: Mir ist auch noch wichtig zu erwähnen, dass nach der Übernahme von Horst endlich Ruhe eingekehrt ist, auch medial. Das hat extrem geholfen. Vorher gab es häufige Störfeuer von allen Seiten.
Wie groß war denn der Schaden, den die WM hinterlassen hat? Wirkt das noch nach?
Hrubesch: Wir haben ja erst einen Schritt gemacht. Jetzt müssen wir den nächsten Schritt machen, damit es positiv bleibt. Aber es wird nur funktionieren, wenn wir den Weg gemeinsam gehen.
Kellermann: Ich gucke auch nach vorne. Natürlich war das Jahr nicht erfolgreich für unsere Nationalmannschaft. Auch die Spiele vor der WM waren durchwachsen. Aber der Abschluss war positiv. Auf die Liga hat die WM keinen negativen Einfluss gehabt. Von daher nehmen wir das gute Gefühl mit und drücken die Daumen, dass es mit der Qualifikation für Olympia klappt.
Rech: Sportlich war es am Ende ein gutes Jahr. Es ist wichtig, dass wir positiv ins neue Jahr starten. Neben dem Platz herrschte lange Zeit Unklarheit, insofern war es ein guter Schritt, dass man Horst als Bundestrainer gewinnen konnte. Alle waren viele Wochen einem Medienrummel ausgesetzt. Ich erinnere mich an unser Ligaspiel gegen Wolfsburg, als sich die Fragen nur noch um die Nationalmannschaft gedreht haben und gar nicht um das Top-Spiel an sich. Gut, dass jetzt Klarheit herrscht, auch mit der Personalie Nia Künzer. Es ist wichtig, dass wir alle gemeinsam den Weg gehen und die aktuell vorbildliche Kommunikation miteinander fortsetzen. Es macht viel Spaß, mit Horst zusammenzuarbeiten - und das erleichtert vieles.
Hrubesch: Ich denke, dass der Frauenfußball in Deutschland keinen Schaden genommen hat. Wir müssen gemeinsam den Weg weitergehen. Der DFB muss jetzt einen klaren Weg gehen mit Nia Künzer und dem zukünftigen Bundestrainer.
Der Name Künzer ist jetzt zweimal gefallen: Was erwarten Sie sich von ihr? Welche Impulse soll sie setzen?
Hrubesch: Ich denke, sie wird eine Idee haben und uns diese vorstellen. Ich freue mich darauf.
Die wichtigste Aufgabe für Künzer ist es, einen Nachfolger für Sie zu finden, Herr Hrubesch. Ist es ausgeschlossen, dass Sie sich überreden lassen, nach Olympia weiterzumachen? Könnte die EM 2025 in der Schweiz Sie locken?
Hrubesch: Überreden muss mich keiner. Ich frage immer meine Frau (lacht). Mir macht das riesigen Spaß! Es ist aber auch klar: Ich bin 72 Jahre alt und merke, dass das auch an die Substanz geht.
Warum gibt es eigentlich so wenige Kandidatinnen und Kandidaten für den Bundestrainer-Job? Warum drängen so wenige auf diesen Posten?
Kellermann: Wer entscheidet denn, welche Trainer zum Kandidatenkreis gehören? Das entscheiden ja nicht die Medien. Ich sehe das nicht so kritisch. Auch die Frage Frau oder Mann stellt sich für mich nicht. Genauso wenig, ob schon Erfahrungen im Frauenfußball vorhanden sind. Andries Jonker und Hervé Renard sind da beste Beispiele. Letztlich sollte es immer um Qualität gehen.
Frau Rech, können Sie nach dem Erfolg mit dem Norweger Alexander Straus einen Trainer in Skandinavien empfehlen?
Rech: (lacht) Wie Ralf schon sagte: Es geht um Qualität. Mit einer Sportdirektorin kann ich mir daneben durchaus einen männlichen Trainer vorstellen. Darüber sollte man nachdenken, denn der Kreis wird eben auch sehr klein, wenn man sich nur mit weiblichen Trainern beschäftigt. Ich würde mir die Offenheit wünschen, sich auch über die Grenzen hinaus auf dem Markt umzuschauen.
Kommen wir zum Vereinsfußball: Herr Kellermann, Sie haben im November im kicker-Interview gesagt, dass der VfL Wolfsburg die Meisterschaft gewinnen kann, aber nicht jedes Jahr die Champions League. Was muss sich denn ändern, damit das realistisch werden könnte?
Kellermann: Wenn wir in der Champions League starten, haben wir auch das Ziel, die Champions League zu gewinnen. Auch im letzten Jahr waren die Voraussetzungen die gleichen: dass wir gegen europäische Top-Mannschaften spielen, die als Marke und mit ihrem Standort eine deutlich höhere Strahlkraft haben. Wirtschaftlich herrscht ein großer Unterschied zu den Vereinen, mit denen wir uns letztes Jahr im Viertel- und Halbfinale sowie im Finale gemessen haben. Trotzdem waren wir nahe dran, die Champions League zu gewinnen. Nur weil wir die vergangenen elf Jahre mindestens im Viertelfinale und davon sechsmal im Finale waren, kann man nicht davon ausgehen, dass wir jedes Jahr das Finale erreichen. Das ist unrealistisch.
An welchen Stellschrauben muss die Bundesliga drehen, damit der VfL Wolfsburg und Bayern die Lücke schließen können?
Kellermann: Nehmen wir noch Eintracht Frankfurt dazu. Die spielen in dieser Saison in der Champions League.
Dann erweitern wir die Frage sehr gerne.
Kellermann: Wir brauchen weiterhin diese Highlight-Spiele in den großen Arenen, damit die Liga auch international wahrgenommen wird. Darüber hinaus schauen Spielerinnen im Ausland auch immer wieder genau hin, wie sich der sportliche Wettbewerb in der Liga darstellt. Ligen mit zwei Mannschaften an der Spitze, der Dritte ist 12 oder 15 Punkte weg: Das alles erhöht nicht die Attraktivität der Liga.
Hrubesch: Mir geht es vor allem darum, dass wir weiterhin Nachwuchs ausbilden. Auch in der 2. Liga rüsten einige Klubs auf. Beim HSV haben wir auch den Anspruch, dass wir in den nächsten Jahren aufsteigen wollen. Und das wollen wir mit jungen Spielerinnen machen. Die Herausforderung ist, die jungen Spielerinnen auch halten zu können. Es ist wichtig, nicht nur Spielerinnen aus dem Ausland zu holen, sondern auch auf den eigenen Nachwuchs zu setzen.
Frau Rech, Sie haben zwei Jahre nacheinander Spielerinnen aus der englischen Liga verpflichtet. Wie sehen Sie das?
Rech: Für mich sind mehrere Faktoren für die Weiterentwicklung wichtig: die Talentförderung, die ein wesentlicher Faktor für die Zukunft sein muss. Wir arbeiten daran, uns in diesem Bereich zu verbessern. Zweitens: Wir müssen uns gemeinsam als Liga weiterentwickeln, und dazu gehören nicht nur die Spitzenklubs, die professionellere Rahmenbedingungen schaffen. Die Liga muss attraktiv sein. Und der dritte Punkt: Wir müssen es schaffen, Spielerinnen aus dem Ausland für diese Liga zu begeistern. Es ist aber entscheidend, eine Balance zwischen dem Aufbau von eigenen Talenten und Spielerinnen aus dem Ausland zu finden.
Herr Kellermann, bei Ihnen haben es in den vergangenen Jahren wenige geschafft, aus dem eigenen Nachwuchs nach oben zu kommen.
Kellermann: Das stimmt. Ich könnte jetzt 15 bis 20 Namen aufzählen, die hier die Ausbildung durchlaufen haben und jetzt in nahezu allen Vereinen der Bundesliga und sogar international spielen. Der Sprung von der U 20 zu einer internationalen Top-Mannschaft ist häufig zu groß. Das hat eine Ewa Pajor mit 18 geschafft und auch eine Lena Oberdorf, also die Ausnahmetalente, aber eben nicht die meisten. Und dann ist es völlig normal, dass die Spielerinnen dann mit 18, 19 sagen, ich möchte Bundesliga spielen und den nächsten Schritt machen.
Dann gehen sie zu anderen Vereinen …
Kellermann: … und entwickeln sich dort weiter. Das ist völlig in Ordnung. Das Training mit den besten Spielerinnen in Europa bringt dich natürlich weiter, aber die jungen Spielerinnen müssen auch spielen. Alle drei Wochen mal acht Minuten eingewechselt zu werden, bringt jemanden in dem Alter nicht voran. Daher bieten sich Ausleihen an, um Spielerinnen aufs nächste Level zu bringen.
Fehlt derzeit auch etwa eine U-21-Nationalmannschaft?
Kellermann: Es fehlt seit Jahren eine U-23-Nationalmannschaft, aber das habe ich schon mehrmals angemerkt. Wir sind die einzige Top-Nation in Europa, die in dieser Altersklasse keine Nationalmannschaft hat. Mir wurde der Verzicht auf diese Mannschaft immer mit dem Verweis auf budgetäre Gründe erklärt. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis, und man muss sich nicht wundern, wenn man in manchen Bereichen den Anschluss verliert.
Der DFB reformiert ja seine Nachwuchsteams - zumindest ein bisschen. Vom neuen Jahr an werden U 20 und U 19, die sich bisher Lehrgänge öfter teilten, durchgehend getrennt geführt. Beide Auswahlen sollen auch in Nicht-WM-Jahren regelmäßig international gegen andere Nationen antreten.
Kellermann: Ich bleibe dabei: Meiner Meinung nach brauchen wir eine U-23-Nationalmannschaft.
Wie sehen Sie denn die Ausgeglichenheit in der Liga generell? Sie haben gesagt, das sollte natürlich nicht sein, dass zwei Mannschaften 15 Punkte vorne sind. Diesen Fall gibt es ja schon seit Jahren nicht mehr, Frankfurt und Hoffenheim waren häufig nah dran. Auf der einen Seite will man in der Champions League mit den Top-Teams mithalten können, auf der anderen Seite soll aber auch die Schere in der Bundesliga nicht so weit auseinandergehen. Das ist ja schon ein Balance-Akt.
Rech: Die Spiele werden immer ausgeglichener. Das war bereits vergangenes Jahr so und setzt sich weiter fort. Auch für uns als FC Bayern sind alle Spiele schwierig und müssen erst mal bestritten werden. Vor allem wenn du aus einer Champions-League-Woche kommst. Das ist das Schöne, das macht auch die Attraktivität der Liga aus. Die Liga rückt enger zusammen - weil Spielerinnen und Trainerinnen besser ausgebildet sind. Und auch in der 2. Liga gibt es mehr Vereine, die investieren und nach oben kommen wollen. Das finde ich gut und wird dem Frauenfußball insgesamt weiterhelfen.
Kellermann: Kann ich nur bestätigen. 1:0 gegen Nürnberg, 2:0 gegen Leipzig, das waren sehr enge Spiele. Zuletzt kam der FC Bayern München als amtierender deutscher Meister bei Aufsteiger 1. FC Nürnberg nicht über ein Remis hinaus. Es ist deutlich schwerer geworden, Woche für Woche Konstanz in den Ergebnissen an den Tag zu legen. Da hat sich einiges getan. Das macht die Liga deutlich attraktiver.
Herr Hrubesch, Sie haben ja auch eine Essener Vergangenheit. Freut Sie das dann auch besonders, dass die SGS da so mithalten kann?
Hrubesch: Ja. Sie haben den Weg mit jungen Spielerinnen gewählt. Natürlich tut es ihnen weh, wenn jedes Jahr eine ihrer besten Spielerinnen weggeht. Beim HSV machen wir es übrigens ähnlich. Was ich da ganz gerne hätte: junge Spielerinnen auszubilden mit Gesichtern, die eines Tages für den Verein stehen.
Kellermann: Ich möchte etwas zu Essen sagen. Sie machen das seit Jahren herausragend und bringen immer wieder Spielerinnen hervor, die dann irgendwann über Umwege Nationalspielerinnen werden. Davor habe ich allergrößten Respekt. Ich möchte aber den Vergleich von einer Mannschaft im Ruhrgebiet und einem Verein hier in Wolfsburg ziehen, damit man das besser einordnen kann. Im Ruhrgebiet kann man Spielerinnen mit 14, 15 oder 16 Jahren verpflichten, ohne dass sie die Schule wechseln, ohne dass sie das Elternhaus verlassen müssen. Bei uns ist es so: Wenn wir uns für Talente interessieren, bedeutet das immer einen Schulwechsel. Weg von zu Hause, meistens in den entscheidenden Jahren, wenn es Richtung Abi geht. Das ist schon ein großer Unterschied. Mit einem Fahrdienst im Ruhrgebiet kannst du ein ganz großes Areal bearbeiten, weil dort deutlich mehr Leute als hier im Umkreis von Wolfsburg wohnen. Das ist ein Riesenvorteil, aber sie nutzen den auch.
In der aktuellen Saison gab es einige schwächere Schiedsrichterleistungen. Gibt es ein Qualitätsproblem? Bei der WM war ja auch keine deutsche Schiedsrichterin dabei.
Rech: Wenn wir über Professionalisierung und bessere Rahmenbedingungen für Spielerinnen sprechen, müssen wir auch dafür sorgen, dass wir Schiedsrichterinnen besser ausbilden und auch ihnen die Möglichkeit geben, das in einem professionellen Rahmen zu tun. Somit würde auch die Qualität der Leistungen gesteigert werden können. Wenn wir es zum aktuellen Zeitpunkt nicht schaffen, ausreichend Qualität und Quantität an Schiedsrichterinnen auf den Platz zu bringen - warum sind wir nicht in der Lage, in der Frauen-Bundesliga die Tore für männliche Schiedsrichter zu öffnen?
Andersherum funktioniert es ja auch.
Rech: Eben. Andersherum funktioniert es bekanntlich auch. Wir reden auf der einen Seite über Diversität und Gleichberechtigung und die Möglichkeit, dass die besten Schiedsrichterinnen in den höchsten männlichen Ligen pfeifen. Wir würden uns wünschen, dass der DFB dieses Thema stärker priorisiert. Es ist ein Thema, das wir in unseren Gremien immer wieder diskutieren. Weil wir der Meinung sind, dass wir die Qualität dringend brauchen. Wenn du unter der Woche in der Champions League unterwegs bist und dann am Wochenende bei uns in der Liga spielst, sollte es in der Regel keinen Unterschied geben, wie ein Spiel geführt wird. Aber diesen Unterschied gibt es.
Kellermann: Der Frauenfußball hat sich in den vergangenen Jahren so rasant entwickelt. Athletisch, vom Tempo her. Da ist es ein Stück weit normal, wenn ich keine Profi-Schiedsrichterin bin, dass ich da gar nicht die Möglichkeit habe, dieser Entwicklung im gleichen Maße zu folgen.
Rech: Ein wichtiger Punkt, den du ansprichst. Dem Tempo und der physischen Entwicklung musst du erst mal gerecht werden. Das können nur Schiedsrichterinnen sein, die den zeitlichen Aufwand einbringen können, sich entsprechend darauf vorzubereiten.
Kellermann: Für mich gehört zum professionellen Schiedsrichterdasein eine intensive Vorbereitung auf die beiden Mannschaften, die ich pfeife, eine detaillierte Nachbereitung und eine absolute körperliche Fitness. Wenn ich dann aber noch 35 oder 40 Stunden arbeiten gehe, wie soll das dann funktionieren? Die Schiedsrichterinnen sind alle auf ihre Arbeitgeber angewiesen, sie freizustellen. Die Spielerinnen sind Profis und die Schiedsrichterinnen nicht. Also ist es nicht verwunderlich, dass die Kluft ein bisschen größer geworden ist. Und wir sind die einzige Top-Nation in Europa, die es sich leistet, die Schiedsrichterinnen-Teams nicht mit Männern aufzufüllen. Es geht ja nicht darum, dass beim Top-Spiel der Frauen-Bundesliga ein Mann pfeift.
Allein finanziell geht es um sehr viel: Meisterschaft, Champions League …
Kellermann: Das macht eine Menge aus. Wenn ich noch nicht so viele Assistentinnen habe, die auf einem Top-Level sind, warum kann ich nicht entsprechend qualifizierte Schiedsrichter dort hinstellen? Bis ich so viel Qualität in der Breite habe, damit es reicht. Auch hier sind wir die einzige europäische Top-Liga, die sich diesen Luxus leistet. Ich habe den Vorschlag schon vor Jahren beim DFB platziert, und er wurde von den seinerzeit Verantwortlichen strikt abgelehnt. Wir müssen auch bewerten, dass uns teilweise die zwei, drei besten Schiedsrichterinnen häufig in der Liga nicht zur Verfügung stehen, weil sie in den männlichen Profiligen pfeifen und an der Linie stehen und auch als Vierte Offizielle oder im Kölner Keller eingesetzt werden.
Hrubesch: Ich habe mich auch bei unseren internationalen Spielen gewundert, dass in den Partien, bei denen ich nun dabei war, immer ausschließlich Frauen im Einsatz waren. Da muss Qualität entscheiden. Ob ich einen Mann oder eine Frau hinstelle, ist egal. Das ist das Gleiche wie bei Trainer- oder Managerposten.
Braucht die Frauen-Bundesliga den VAR?
Hrubesch: Ich denke: aktuell nein.
Kellermann: Davor kann sich der Frauen-Fußball nicht verschließen. Aktuell ist es aber eher unrealistisch, weil die infrastrukturellen Voraussetzungen nicht in allen Stadien gegeben sind und zum anderen das geschulte Personal fehlt. Wo soll das herkommen? Wenn wir in naher Zukunft den VAR haben wollen, müssten auch hier schon die personellen Weichen gestellt werden.
Rech: Im neuen Format der Champions League soll es zukünftig geplant sein. Aber bevor wir über die Einführung in der Bundesliga sprechen, haben wir ganz andere Themen zu bearbeiten.
Apropos Königsklasse. Wie sehen Sie die Reformen?
Kellermann: Durchweg positiv. Dass die Plätze 1 und 2 fix sind, hilft bei der Planung enorm. Das Format an sich mit 18 Klubs und drei Heim- und Auswärtsspielen gegen unterschiedliche Klubs finde ich interessant, und es verspricht eine Menge Spannung. Wichtig ist auch, dass sich die Anzahl der Spiele nicht groß verändert.
Rech: Absolut positiv. Darüber hinaus wird es einen zusätzlichen Wettbewerb geben. Das erhöht die Attraktivität für Teams nochmals mehr, international spielen zu können.
Das Interview führten Paul Bartmuß, Jim Decker und Gunnar Meggers.
Quelle
"Im Verein haben wir unter der WM gelitten"
Das Trio gehört zu den den derzeit einflussreichsten Entscheidern im deutschen Frauen-Fußball: Bayerns Sportliche Leiterin Bianca Rech (42), Wolfsburgs Sportchef Ralf Kellermann (55) und Bundestrainer Horst Hrubesch (72) sprechen im kicker-Interview (Donnerstagausgabe) über die Liga und die Nationalelf.
Bundestrainer Horst Hrubesch, Bayerns Sportliche Leiterin Bianca Rech und Wolfsburgs Sportchef Ralf Kellermann. imago images (3)
Die Qualifikation für die olympischen Spiele im kommenden Sommer ist weiter möglich - und vor dem Duell Mitte Februar mit Frankreich für die Nationalmannschaft zumindest in greifbarer Nähe. "Ich habe nie daran gezweifelt, dass wir den Gruppensieg holen, weil ich weiß, welche Qualität in der Mannschaft steckt", sagt Bundestrainer Horst Hrubesch im Rückblick auf die Erfolge in der Nations League, die diese Chance erst möglich machten.
Da ist für den ehemaligen Profi von Rot-Weiss Essen und dem Hamburger SV aber noch nicht Schluss. "Mir ist wichtig zu betonen, dass wir nicht nur bei Olympia dabei sein wollen, sondern auch im ersten Schritt die Nations League gewinnen wollen", sagt der Bundestrainer im Dreier-Interview in der aktuellen Donnerstagausgabe des kicker und weiter: "Olympia kommt danach. Wir werden angreifen."
An solch selbsbewusste Worte war nach dem großen Scheitern der DFB-Elf bei der WM im Sommer in Australien und Neuseeland noch nicht zu denken, doch unter Hrubesch spielt Deutschland wieder stärker. "Wir haben im Verein unter der enttäuschenden WM sehr gelitten. Unsere Spielerinnen waren zum Teil mental am Boden", sagt etwa Ralf Kellermann, der mit dem VfL Wolfsburg einen großen Teil des DFB-Kaders abstellte.
Für Bayerns Bianca Rech war es "sportlich am Ende ein gutes Jahr" - klar, holte sie mit den Münchnerinnen auch die Meisterschale und mit Magdalena Eriksson und Pernille Harder zwei Top-Stars in die Bundesliga. "Wir müssen es schaffen, Spielerinnen aus dem Ausland für diese Liga zu begeistern", glaubt die Bayern-Chefin, findet aber auch mit Blick auf die einst große sportliche Kluft: "Die Liga rückt enger zusammen."
Rech, Kellermann und Hrubesch werben außerdem für eine weitere Professionalisierung, etwa beim VAR und den Schiedsrichterinnen. Und fordern durch Rech sogar die Öffnung hin zu mänlichen Unparteiischen. So fragt Rech mit klarer Absicht: "Warum sind wir nicht in der Lage, in der Frauen-Bundesliga die Tore für männliche Schiedsrichter zu öffnen?"
Wie Hrubesch seine weitere Zukunft als Bundestrainer sieht, welche Rolle die neue DFB-Direktorin Nia Künzer spielen soll und wieso die Einführung einer weiblichen U-21-Nationalmannschaft Sinn ergeben würde, lesen Sie im vollständigen Dreier-Interview in der gedruckten Donnerstagausgabe des kicker oder ab Mittwochabend im eMagazine.
jim
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Auch Schiedsrichter im Frauenfußball und die CL-Reform werden thematisiert
Der Gipfel im Frauenfußball: Rech, Kellermann und Hrubesch im Interview
01.01.24 - 14:00
Eine ganze Branche im Wandel: Bayerns Bianca Rech (42), Wolfsburgs Ralf Kellermann (55) und Bundestrainer Horst Hrubesch (72) sprechen im kicker-Interview über die Liga und die Nationalelf.
Sprachen im kicker-Interview über die Liga und die Nationalelf: Bayerns Bianca Rech (li.), Wolfsburgs Ralf Kellermann (mi.) und Bundestrainer Horst Hrubesch (re.). picture alliance (3)
Mehr als eine Stunde nehmen sich drei der wichtigsten Entscheider im deutschen Frauen-Fußball Zeit für den kicker - und demonstrieren später ungewohnte Einigkeit: Die Freigabe des Interviews koordiniert die Pressesprecherin des DFB für alle Beteiligten.
Herr Hrubesch, wie groß ist die Erleichterung, dass Ihr Team dem Ziel Olympia ein Stück nähergekommen ist?
Hrubesch: Das war die Aufgabe, die wir zu lösen hatten. Ich habe nie daran gezweifelt, dass wir den Gruppensieg holen, weil ich weiß, welche Qualität in der Mannschaft steckt. Die Spielerinnen sind top ausgebildet. Es war einfach wichtig, die Spielerinnen mitzunehmen, ihnen das Vertrauen zu geben und ihnen zu bestätigen, welche Qualität sie eigentlich haben. Das war entscheidend. Wichtig ist, dass alle mitgezogen haben, auch die Vereine. Dafür bin ich sehr dankbar.
Frau Rech, waren Sie auch immer überzeugt, dass es klappt?
Rech: Wir wussten, wenn der Spaß zurückkommt und die Spielerinnen an sich glauben, kann es was werden. Wichtig ist, dass der Traum Olympia weiter geträumt werden darf.
Wie groß war denn Ihr Glaube, Herr Kellermann?
Kellermann: Immer bei 100 Prozent. Die Qualität ist ja da. Wichtig war, dass Horst keine Zweifel zugelassen hat und selbstbewusst aufgetreten ist. Das hat sich dann auch auf die Mannschaft übertragen. Es ist ein großer Schritt, und die Vereine sind sehr glücklich darüber.
Wie wichtig war es, dass dieses lange Zeit so enttäuschende Jahr versöhnlich endet?
Rech: Es ist enorm wichtig, dass die Mädels diesen Schub ins neue Jahr mitnehmen können und positiv ins neue Jahr starten nach der enttäuschenden WM.
Ich nehme an, Sie sehen das ähnlich, Herr Kellermann.
Kellermann: Absolut. Ein Scheitern in der Gruppenphase der Nations League wäre fatal gewesen. Wir haben im Verein unter der enttäuschenden WM sehr gelitten. Unsere Spielerinnen waren zum Teil mental am Boden, und das hat recht lange angedauert. Wir sind äußerst glücklich über den guten Jahresausklang.
Herr Hrubesch, wie schlimm war es für Sie, dass die Spielerinnen so am Boden waren?
Hrubesch: Ich bin ja ein positiver Typ und gucke nicht zurück. Deshalb habe ich auch nichts aus der Vergangenheit aufgearbeitet, sondern habe in die Mannschaft reingehört. Ich hatte vorher Kontakt zu den Vereinen und wusste in etwa, was auf mich zukommt. Entscheidend war, dass die Mädels mich angenommen haben und wie wir miteinander kommunizieren, auch mit den Vereinen und dem DFB. Das ist ein Gesamtpaket. Alle haben einen guten Job gemacht. Das hat von der ersten Minute an funktioniert. Wir haben den Mädels Luft zum Atmen gegeben, nicht eine Sitzung nach der anderen angesetzt. Fußball ist einfach. Der hat sich auch nicht verändert.
Und jetzt wartet Frankreich in der Nations League.
Hrubesch: Wir hatten uns Frankreich gewünscht. Die sind als Gastgeber ohnehin bei Olympia dabei, sodass wir uns auch mit einer Niederlage im Halbfinale noch für Olympia qualifizieren können. Mir ist aber wichtig zu betonen, dass wir nicht nur bei Olympia dabei sein wollen, sondern auch im ersten Schritt die Nations League gewinnen wollen. Olympia kommt danach. Wir werden angreifen.
Kellermann: Mir ist auch noch wichtig zu erwähnen, dass nach der Übernahme von Horst endlich Ruhe eingekehrt ist, auch medial. Das hat extrem geholfen. Vorher gab es häufige Störfeuer von allen Seiten.
Zum Bundestrainer muss mich keiner überreden.
Horst Hrubesch
Horst Hrubesch
Wie groß war denn der Schaden, den die WM hinterlassen hat? Wirkt das noch nach?
Hrubesch: Wir haben ja erst einen Schritt gemacht. Jetzt müssen wir den nächsten Schritt machen, damit es positiv bleibt. Aber es wird nur funktionieren, wenn wir den Weg gemeinsam gehen.
Kellermann: Ich gucke auch nach vorne. Natürlich war das Jahr nicht erfolgreich für unsere Nationalmannschaft. Auch die Spiele vor der WM waren durchwachsen. Aber der Abschluss war positiv. Auf die Liga hat die WM keinen negativen Einfluss gehabt. Von daher nehmen wir das gute Gefühl mit und drücken die Daumen, dass es mit der Qualifikation für Olympia klappt.
Rech: Sportlich war es am Ende ein gutes Jahr. Es ist wichtig, dass wir positiv ins neue Jahr starten. Neben dem Platz herrschte lange Zeit Unklarheit, insofern war es ein guter Schritt, dass man Horst als Bundestrainer gewinnen konnte. Alle waren viele Wochen einem Medienrummel ausgesetzt. Ich erinnere mich an unser Ligaspiel gegen Wolfsburg, als sich die Fragen nur noch um die Nationalmannschaft gedreht haben und gar nicht um das Top-Spiel an sich. Gut, dass jetzt Klarheit herrscht, auch mit der Personalie Nia Künzer. Es ist wichtig, dass wir alle gemeinsam den Weg gehen und die aktuell vorbildliche Kommunikation miteinander fortsetzen. Es macht viel Spaß, mit Horst zusammenzuarbeiten - und das erleichtert vieles.
Hrubesch: Ich denke, dass der Frauenfußball in Deutschland keinen Schaden genommen hat. Wir müssen gemeinsam den Weg weitergehen. Der DFB muss jetzt einen klaren Weg gehen mit Nia Künzer und dem zukünftigen Bundestrainer.
Der Name Künzer ist jetzt zweimal gefallen: Was erwarten Sie sich von ihr? Welche Impulse soll sie setzen?
Hrubesch: Ich denke, sie wird eine Idee haben und uns diese vorstellen. Ich freue mich darauf.
Die wichtigste Aufgabe für Künzer ist es, einen Nachfolger für Sie zu finden, Herr Hrubesch. Ist es ausgeschlossen, dass Sie sich überreden lassen, nach Olympia weiterzumachen? Könnte die EM 2025 in der Schweiz Sie locken?
Hrubesch: Überreden muss mich keiner. Ich frage immer meine Frau (lacht). Mir macht das riesigen Spaß! Es ist aber auch klar: Ich bin 72 Jahre alt und merke, dass das auch an die Substanz geht.
Warum gibt es eigentlich so wenige Kandidatinnen und Kandidaten für den Bundestrainer-Job? Warum drängen so wenige auf diesen Posten?
Kellermann: Wer entscheidet denn, welche Trainer zum Kandidatenkreis gehören? Das entscheiden ja nicht die Medien. Ich sehe das nicht so kritisch. Auch die Frage Frau oder Mann stellt sich für mich nicht. Genauso wenig, ob schon Erfahrungen im Frauenfußball vorhanden sind. Andries Jonker und Hervé Renard sind da beste Beispiele. Letztlich sollte es immer um Qualität gehen.
Frau Rech, können Sie nach dem Erfolg mit dem Norweger Alexander Straus einen Trainer in Skandinavien empfehlen?
Rech: (lacht) Wie Ralf schon sagte: Es geht um Qualität. Mit einer Sportdirektorin kann ich mir daneben durchaus einen männlichen Trainer vorstellen. Darüber sollte man nachdenken, denn der Kreis wird eben auch sehr klein, wenn man sich nur mit weiblichen Trainern beschäftigt. Ich würde mir die Offenheit wünschen, sich auch über die Grenzen hinaus auf dem Markt umzuschauen.
Kommen wir zum Vereinsfußball: Herr Kellermann, Sie haben im November im kicker-Interview gesagt, dass der VfL Wolfsburg die Meisterschaft gewinnen kann, aber nicht jedes Jahr die Champions League. Was muss sich denn ändern, damit das realistisch werden könnte?
Kellermann: Wenn wir in der Champions League starten, haben wir auch das Ziel, die Champions League zu gewinnen. Auch im letzten Jahr waren die Voraussetzungen die gleichen: dass wir gegen europäische Top-Mannschaften spielen, die als Marke und mit ihrem Standort eine deutlich höhere Strahlkraft haben. Wirtschaftlich herrscht ein großer Unterschied zu den Vereinen, mit denen wir uns letztes Jahr im Viertel- und Halbfinale sowie im Finale gemessen haben. Trotzdem waren wir nahe dran, die Champions League zu gewinnen. Nur weil wir die vergangenen elf Jahre mindestens im Viertelfinale und davon sechsmal im Finale waren, kann man nicht davon ausgehen, dass wir jedes Jahr das Finale erreichen. Das ist unrealistisch.
An welchen Stellschrauben muss die Bundesliga drehen, damit der VfL Wolfsburg und Bayern die Lücke schließen können?
Kellermann: Nehmen wir noch Eintracht Frankfurt dazu. Die spielen in dieser Saison in der Champions League.
Dann erweitern wir die Frage sehr gerne.
Kellermann: Wir brauchen weiterhin diese Highlight-Spiele in den großen Arenen, damit die Liga auch international wahrgenommen wird. Darüber hinaus schauen Spielerinnen im Ausland auch immer wieder genau hin, wie sich der sportliche Wettbewerb in der Liga darstellt. Ligen mit zwei Mannschaften an der Spitze, der Dritte ist 12 oder 15 Punkte weg: Das alles erhöht nicht die Attraktivität der Liga.
Hrubesch: Mir geht es vor allem darum, dass wir weiterhin Nachwuchs ausbilden. Auch in der 2. Liga rüsten einige Klubs auf. Beim HSV haben wir auch den Anspruch, dass wir in den nächsten Jahren aufsteigen wollen. Und das wollen wir mit jungen Spielerinnen machen. Die Herausforderung ist, die jungen Spielerinnen auch halten zu können. Es ist wichtig, nicht nur Spielerinnen aus dem Ausland zu holen, sondern auch auf den eigenen Nachwuchs zu setzen.
Frau Rech, Sie haben zwei Jahre nacheinander Spielerinnen aus der englischen Liga verpflichtet. Wie sehen Sie das?
Rech: Für mich sind mehrere Faktoren für die Weiterentwicklung wichtig: die Talentförderung, die ein wesentlicher Faktor für die Zukunft sein muss. Wir arbeiten daran, uns in diesem Bereich zu verbessern. Zweitens: Wir müssen uns gemeinsam als Liga weiterentwickeln, und dazu gehören nicht nur die Spitzenklubs, die professionellere Rahmenbedingungen schaffen. Die Liga muss attraktiv sein. Und der dritte Punkt: Wir müssen es schaffen, Spielerinnen aus dem Ausland für diese Liga zu begeistern. Es ist aber entscheidend, eine Balance zwischen dem Aufbau von eigenen Talenten und Spielerinnen aus dem Ausland zu finden.
Auch in der 2. Liga gibt es mehr Vereine, die investieren und nach oben kommen wollen. Das finde ich gut.
Bianca Rech
Bianca Rech
Herr Kellermann, bei Ihnen haben es in den vergangenen Jahren wenige geschafft, aus dem eigenen Nachwuchs nach oben zu kommen.
Kellermann: Das stimmt. Ich könnte jetzt 15 bis 20 Namen aufzählen, die hier die Ausbildung durchlaufen haben und jetzt in nahezu allen Vereinen der Bundesliga und sogar international spielen. Der Sprung von der U 20 zu einer internationalen Top-Mannschaft ist häufig zu groß. Das hat eine Ewa Pajor mit 18 geschafft und auch eine Lena Oberdorf, also die Ausnahmetalente, aber eben nicht die meisten. Und dann ist es völlig normal, dass die Spielerinnen dann mit 18, 19 sagen, ich möchte Bundesliga spielen und den nächsten Schritt machen.
Dann gehen sie zu anderen Vereinen …
Kellermann: … und entwickeln sich dort weiter. Das ist völlig in Ordnung. Das Training mit den besten Spielerinnen in Europa bringt dich natürlich weiter, aber die jungen Spielerinnen müssen auch spielen. Alle drei Wochen mal acht Minuten eingewechselt zu werden, bringt jemanden in dem Alter nicht voran. Daher bieten sich Ausleihen an, um Spielerinnen aufs nächste Level zu bringen.
Fehlt derzeit auch etwa eine U-21-Nationalmannschaft?
Kellermann: Es fehlt seit Jahren eine U-23-Nationalmannschaft, aber das habe ich schon mehrmals angemerkt. Wir sind die einzige Top-Nation in Europa, die in dieser Altersklasse keine Nationalmannschaft hat. Mir wurde der Verzicht auf diese Mannschaft immer mit dem Verweis auf budgetäre Gründe erklärt. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis, und man muss sich nicht wundern, wenn man in manchen Bereichen den Anschluss verliert.
Der DFB reformiert ja seine Nachwuchsteams - zumindest ein bisschen. Vom neuen Jahr an werden U 20 und U 19, die sich bisher Lehrgänge öfter teilten, durchgehend getrennt geführt. Beide Auswahlen sollen auch in Nicht-WM-Jahren regelmäßig international gegen andere Nationen antreten.
Kellermann: Ich bleibe dabei: Meiner Meinung nach brauchen wir eine U-23-Nationalmannschaft.
Wie sehen Sie denn die Ausgeglichenheit in der Liga generell? Sie haben gesagt, das sollte natürlich nicht sein, dass zwei Mannschaften 15 Punkte vorne sind. Diesen Fall gibt es ja schon seit Jahren nicht mehr, Frankfurt und Hoffenheim waren häufig nah dran. Auf der einen Seite will man in der Champions League mit den Top-Teams mithalten können, auf der anderen Seite soll aber auch die Schere in der Bundesliga nicht so weit auseinandergehen. Das ist ja schon ein Balance-Akt.
Rech: Die Spiele werden immer ausgeglichener. Das war bereits vergangenes Jahr so und setzt sich weiter fort. Auch für uns als FC Bayern sind alle Spiele schwierig und müssen erst mal bestritten werden. Vor allem wenn du aus einer Champions-League-Woche kommst. Das ist das Schöne, das macht auch die Attraktivität der Liga aus. Die Liga rückt enger zusammen - weil Spielerinnen und Trainerinnen besser ausgebildet sind. Und auch in der 2. Liga gibt es mehr Vereine, die investieren und nach oben kommen wollen. Das finde ich gut und wird dem Frauenfußball insgesamt weiterhelfen.
Kellermann: Kann ich nur bestätigen. 1:0 gegen Nürnberg, 2:0 gegen Leipzig, das waren sehr enge Spiele. Zuletzt kam der FC Bayern München als amtierender deutscher Meister bei Aufsteiger 1. FC Nürnberg nicht über ein Remis hinaus. Es ist deutlich schwerer geworden, Woche für Woche Konstanz in den Ergebnissen an den Tag zu legen. Da hat sich einiges getan. Das macht die Liga deutlich attraktiver.
Wir sind die einzige Top-Nation in Europa, die es sich leistet, die Schiedsrichterinnen-Teams nicht mit Männern aufzufüllen.
Ralf Kellermann
Ralf Kellermann
Herr Hrubesch, Sie haben ja auch eine Essener Vergangenheit. Freut Sie das dann auch besonders, dass die SGS da so mithalten kann?
Hrubesch: Ja. Sie haben den Weg mit jungen Spielerinnen gewählt. Natürlich tut es ihnen weh, wenn jedes Jahr eine ihrer besten Spielerinnen weggeht. Beim HSV machen wir es übrigens ähnlich. Was ich da ganz gerne hätte: junge Spielerinnen auszubilden mit Gesichtern, die eines Tages für den Verein stehen.
Kellermann: Ich möchte etwas zu Essen sagen. Sie machen das seit Jahren herausragend und bringen immer wieder Spielerinnen hervor, die dann irgendwann über Umwege Nationalspielerinnen werden. Davor habe ich allergrößten Respekt. Ich möchte aber den Vergleich von einer Mannschaft im Ruhrgebiet und einem Verein hier in Wolfsburg ziehen, damit man das besser einordnen kann. Im Ruhrgebiet kann man Spielerinnen mit 14, 15 oder 16 Jahren verpflichten, ohne dass sie die Schule wechseln, ohne dass sie das Elternhaus verlassen müssen. Bei uns ist es so: Wenn wir uns für Talente interessieren, bedeutet das immer einen Schulwechsel. Weg von zu Hause, meistens in den entscheidenden Jahren, wenn es Richtung Abi geht. Das ist schon ein großer Unterschied. Mit einem Fahrdienst im Ruhrgebiet kannst du ein ganz großes Areal bearbeiten, weil dort deutlich mehr Leute als hier im Umkreis von Wolfsburg wohnen. Das ist ein Riesenvorteil, aber sie nutzen den auch.
In der aktuellen Saison gab es einige schwächere Schiedsrichterleistungen. Gibt es ein Qualitätsproblem? Bei der WM war ja auch keine deutsche Schiedsrichterin dabei.
Rech: Wenn wir über Professionalisierung und bessere Rahmenbedingungen für Spielerinnen sprechen, müssen wir auch dafür sorgen, dass wir Schiedsrichterinnen besser ausbilden und auch ihnen die Möglichkeit geben, das in einem professionellen Rahmen zu tun. Somit würde auch die Qualität der Leistungen gesteigert werden können. Wenn wir es zum aktuellen Zeitpunkt nicht schaffen, ausreichend Qualität und Quantität an Schiedsrichterinnen auf den Platz zu bringen - warum sind wir nicht in der Lage, in der Frauen-Bundesliga die Tore für männliche Schiedsrichter zu öffnen?
Andersherum funktioniert es ja auch.
Rech: Eben. Andersherum funktioniert es bekanntlich auch. Wir reden auf der einen Seite über Diversität und Gleichberechtigung und die Möglichkeit, dass die besten Schiedsrichterinnen in den höchsten männlichen Ligen pfeifen. Wir würden uns wünschen, dass der DFB dieses Thema stärker priorisiert. Es ist ein Thema, das wir in unseren Gremien immer wieder diskutieren. Weil wir der Meinung sind, dass wir die Qualität dringend brauchen. Wenn du unter der Woche in der Champions League unterwegs bist und dann am Wochenende bei uns in der Liga spielst, sollte es in der Regel keinen Unterschied geben, wie ein Spiel geführt wird. Aber diesen Unterschied gibt es.
Kellermann: Der Frauenfußball hat sich in den vergangenen Jahren so rasant entwickelt. Athletisch, vom Tempo her. Da ist es ein Stück weit normal, wenn ich keine Profi-Schiedsrichterin bin, dass ich da gar nicht die Möglichkeit habe, dieser Entwicklung im gleichen Maße zu folgen.
Rech: Ein wichtiger Punkt, den du ansprichst. Dem Tempo und der physischen Entwicklung musst du erst mal gerecht werden. Das können nur Schiedsrichterinnen sein, die den zeitlichen Aufwand einbringen können, sich entsprechend darauf vorzubereiten.
Kellermann: Für mich gehört zum professionellen Schiedsrichterdasein eine intensive Vorbereitung auf die beiden Mannschaften, die ich pfeife, eine detaillierte Nachbereitung und eine absolute körperliche Fitness. Wenn ich dann aber noch 35 oder 40 Stunden arbeiten gehe, wie soll das dann funktionieren? Die Schiedsrichterinnen sind alle auf ihre Arbeitgeber angewiesen, sie freizustellen. Die Spielerinnen sind Profis und die Schiedsrichterinnen nicht. Also ist es nicht verwunderlich, dass die Kluft ein bisschen größer geworden ist. Und wir sind die einzige Top-Nation in Europa, die es sich leistet, die Schiedsrichterinnen-Teams nicht mit Männern aufzufüllen. Es geht ja nicht darum, dass beim Top-Spiel der Frauen-Bundesliga ein Mann pfeift.
Vor dem VAR haben wir ganz andere Themen zu bearbeiten.
Bianca Rech
Bianca Rech
Allein finanziell geht es um sehr viel: Meisterschaft, Champions League …
Kellermann: Das macht eine Menge aus. Wenn ich noch nicht so viele Assistentinnen habe, die auf einem Top-Level sind, warum kann ich nicht entsprechend qualifizierte Schiedsrichter dort hinstellen? Bis ich so viel Qualität in der Breite habe, damit es reicht. Auch hier sind wir die einzige europäische Top-Liga, die sich diesen Luxus leistet. Ich habe den Vorschlag schon vor Jahren beim DFB platziert, und er wurde von den seinerzeit Verantwortlichen strikt abgelehnt. Wir müssen auch bewerten, dass uns teilweise die zwei, drei besten Schiedsrichterinnen häufig in der Liga nicht zur Verfügung stehen, weil sie in den männlichen Profiligen pfeifen und an der Linie stehen und auch als Vierte Offizielle oder im Kölner Keller eingesetzt werden.
Hrubesch: Ich habe mich auch bei unseren internationalen Spielen gewundert, dass in den Partien, bei denen ich nun dabei war, immer ausschließlich Frauen im Einsatz waren. Da muss Qualität entscheiden. Ob ich einen Mann oder eine Frau hinstelle, ist egal. Das ist das Gleiche wie bei Trainer- oder Managerposten.
Braucht die Frauen-Bundesliga den VAR?
Hrubesch: Ich denke: aktuell nein.
Kellermann: Davor kann sich der Frauen-Fußball nicht verschließen. Aktuell ist es aber eher unrealistisch, weil die infrastrukturellen Voraussetzungen nicht in allen Stadien gegeben sind und zum anderen das geschulte Personal fehlt. Wo soll das herkommen? Wenn wir in naher Zukunft den VAR haben wollen, müssten auch hier schon die personellen Weichen gestellt werden.
Rech: Im neuen Format der Champions League soll es zukünftig geplant sein. Aber bevor wir über die Einführung in der Bundesliga sprechen, haben wir ganz andere Themen zu bearbeiten.
Apropos Königsklasse. Wie sehen Sie die Reformen?
Kellermann: Durchweg positiv. Dass die Plätze 1 und 2 fix sind, hilft bei der Planung enorm. Das Format an sich mit 18 Klubs und drei Heim- und Auswärtsspielen gegen unterschiedliche Klubs finde ich interessant, und es verspricht eine Menge Spannung. Wichtig ist auch, dass sich die Anzahl der Spiele nicht groß verändert.
Rech: Absolut positiv. Darüber hinaus wird es einen zusätzlichen Wettbewerb geben. Das erhöht die Attraktivität für Teams nochmals mehr, international spielen zu können.
Das Interview führten Paul Bartmuß, Jim Decker und Gunnar Meggers.
Quelle
Ich glaub ich bin eine Signatur
Denken ist die schwerste Aufgabe ...deshalb befassen sich so wenige damit!
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