30.12.2022 - 19:15
Persönlichkeit des Jahres 2022
Popp im großen kicker-Interview: "Was habe ich denn getan?"
In einer Zeit, in der der Fußball in eine Abwärtsspirale geriet, setzte Alexandra Popp (31) ein Glanzlicht. Mit ihren Mitspielerinnen konnte sie die Menschen für sich gewinnen: Die Persönlichkeit des Jahres im kicker-Interview.
Persönlichkeit des Jahres: Alexandra Popp. Getty Images
Ein ganz normaler Dezember-Mittwoch in Wolfsburg. Doch was ist schon normal in diesem Jahr für Alexandra Popp? Zwischen Training und wichtigen Spielen mit dem VfL Wolfsburg in der Champions League, verschiedenen Auftritten in Fernsehsendungen und einem wahren Marathon an PR- und Interviewterminen findet die sportlich wie menschlich herausragende Angreiferin Zeit und Ruhe, um mit dem kicker zu reden. Über den Fußball und was er ihr bedeutet. Und über vieles andere mehr.
Frau Popp, wenn Sie persönlich auf die Ereignisse 2022 zurückblicken, steht wahrscheinlich an erster Stelle die Europameisterschaft, aber auch Ihr persönlicher Weg zur EM. War es für Sie das Größte, dass Sie es doch noch geschafft haben, dabei zu sein?
Ja, absolut. Es war für mich nicht das Schönste, dass ich bei der EM gespielt habe, sondern die Tatsache, dass ich überhaupt dabei sein konnte. Diese Momente miterleben zu dürfen, dass ich mich sportlich zurückkämpfen konnte und das Vertrauen der Bundestrainerin bekommen habe, das war das i-Tüpfelchen.
Ich schaue natürlich gerne zurück und habe auch immer noch Gänsehaut, aber durch das verlorene EM-Finale auch ein bisschen Wehmut. Aber das gehört dazu. Und ich bin sehr glücklich, wie alles gelaufen ist.
Kann man so eine Geschichte rund um die EM planen oder vorbereiten? Oder muss man das mit Gelassenheit angehen, um das zu erfüllen, was man von sich selbst erwartet?
Der Moment, als klar war, dass ich mit zur EM fahren darf, war für mich schon extrem besonders. Aber gleichzeitig waren es ja auch noch ein paar Tage bis zum Turnier - und da kann viel passieren. Insofern war ich da auch noch angespannt.
Den Schalter umgelegt habe ich beim ersten Spiel gegen Dänemark. Ich wurde eingewechselt und hab dann auch noch ein Tor gemacht. Da hatte ich das Gefühl von Freiheit, von einer Gelassenheit und einer extremen Emotionalität. Ich bin ja grundsätzlich auf dem Platz emotional, aber ich war plötzlich auch emotional neben dem Platz. Das war für mich persönlich ungewohnt, mich selbst so zu erleben. Ich hatte damit auch zu kämpfen und es zu verarbeiten, aber diese Freiheit habe ich dadurch nicht verloren. Deswegen lief es dann auch so gut.
Nach dem Viertelfinale gegen Österreich hatte ich das Gefühl, dass ich machen kann, was ich will - und treffe einfach. Und das hatte ich zuletzt bei der U-20-WM 2010. Danach hatte ich dieses Gefühl nie wieder. Es war unglaublich, dass ich das wieder bekommen habe. Auch nach dem Turnier hatte und habe ich es. Ich bin sehr gelassen und entspannt unterwegs. Viele Dinge schätze ich jetzt sehr, nehme auf und neben dem Platz viel mehr wahr. Das hat die EM bei mir ausgelöst - wahrscheinlich, weil es auch meine erste EM war.
Sie waren das Gesicht der EM. Wie sehr haben Sie es genossen, so sehr im Rampenlicht zu stehen? Oder war es auch eine Last?
Ich habe es gar nicht so sehr genossen, und es war auch keine Last. Dass so viel über mich berichtet wurde, hat mich gar nicht interessiert. Das war mir egal. Mir ging es primär um den Erfolg der Mannschaft und dass ich meinen Teil dazu beitragen konnte. Und ich wollte Fußball-Deutschland zeigen, dass ich noch da bin, weil viele mich vorher schon abgeschrieben hatten.
Ist es deshalb so einfach, authentisch zu bleiben, weil Sie sich persönlich nicht so wichtig nehmen?
Als ich gehört habe, dass ich zur Persönlichkeit des Jahres gewählt wurde, habe ich mich gefragt: Was habe ich denn getan? Ich habe Fußball gespielt, und eigentlich war ich nur ich selbst. Es war mir auch immer wichtig, dass ich meine Bodenständigkeit behalte. Das schätzen auch viele an mir. Und es ist mir aber auch wichtig, mir selbst treu zu bleiben. Ich will mich nicht verstellen, sondern authentisch bleiben. Vielleicht war das auch ein Teil des Mannschafts-Erfolges, weil wir als Mannschaft ja auch authentisch waren und damit viele Menschen in unseren Bann ziehen konnten.
Ist es im Nachhinein dann auch nicht mehr so wichtig, dass Sie nicht Europameister geworden sind, weil der Erfolg ohnehin nicht größer sein könnte?
Ich denke darüber nicht so viel nach. Ich bin fast glücklicher darüber, dass wir unglaublich viel Begeisterung entfachen konnten, auch bei Menschen, die den Zugang zum Fußball durch Corona oder andere Umstände verloren hatten. Das ist am Ende mehr wert als ein Titel im Lebenslauf.
Sie haben es also auch so wahrgenommen, dass der Fußball in Deutschland in einer Abwärtsspirale war?
Ja, das Gefühl hatte ich schon.
Woran hat es gelegen?
Ich glaube, dass sich während der Corona-Zeit viele vielleicht aufgrund der finanziellen Dimensionen vom Fußball distanziert haben. Vielleicht haben wir sogar etwas davon profitiert. Wir konnten die Menschen mit unserem Auftreten und der Art, wie wir gespielt haben, für uns gewinnen
Sie sind von Anfang an differenziert mit den Themen Gendern und Equal Pay umgegangen.
Mir ist schon bewusst, dass meine Stimme als Kapitänin der Nationalmannschaft Gewicht hat, auch schon vor der Europameisterschaft. Ich gehöre ja auch schon zu den älteren Spielerinnen. Mir ist aber auch bewusst, dass zu viel und zu laut auch nicht immer das Richtige ist. Das weiß ich auch aus Erfahrungen auf dem Platz (lacht). Von daher bin ich klar in meinen Aussagen und stehe dazu. Ich weiß aber auch, dass nichts von heute auf morgen funktioniert, daher bin ich lieber differenzierter mit meinen Aussagen, als mit der Tür ins Haus zu fallen.
Selbst dann, wenn der Bundeskanzler, der sich während der EM auf Twitter für Equal Pay ausgesprochen hat, Ihnen eine gute Vorlage liefert…
Ja, auch dann (lacht).
Hat Sie das stark gemacht in Ihrer Karriere, dass Sie immer bei sich geblieben sind? Waren Sie als Kind schon so?
Ja, ich war als Kind schon so, dass ich die Sachen gemacht habe, auf die ich Lust hatte und das Gefühl hatte, die tun mir gut. Schon im jugendlichen Alter wurde ich unterstützt, wir hatten früher beim DFB ja auch Medienschulungen. Aber die Bodenständigkeit zu behalten war mir immer wichtig, ist auch nicht immer einfach. Es wurde ja damals schon viel über mich geschrieben und gesprochen.
Ich war ja mit 17 oder 18 medial schon die zweite Birgit Prinz. Das ist nicht einfach. Da hatten meine Eltern schon zu tun, mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, und meine beste Freundin war und ist ein großer Anker für mich. Ich schätze das sehr, dass ich Menschen in meinem Umfeld habe, die mich auf meinem Weg immer begleitet haben. Wenn mich jemand mag, dann mag er mich, und wenn er mich blöd findet, dann ist es eben so. Ich muss auch nicht jeden mögen (lacht).
Ihre Mitspielern Lena Oberdorf hat kürzlich erzählt, dass Sie ihr Anker in der Mannschaft sind. Wie schwer ist es eigentlich, die Rolle als Leaderin und Vorbild dauerhaft einzunehmen?
Das ist schon in Ordnung für mich. Ich bin ja auch in die Rolle reingewachsen, was nicht immer einfach war. Aber ich hatte tolle Persönlichkeiten, die mir geholfen haben: Inka Grings, Annike Krahn haben mich an die Hand genommen. Und irgendwann kommt natürlich der Zeitpunkt, an dem diese Spielerinnen aufhören, und dann stehst du da und bist selber in der Führungsrolle und musst deinen eigenen Weg dafür finden.
Anscheinend habe ich das ganz gut hinbekommen (lacht). Es ist ja auch schön, eine Vorbildfunktion zu haben, und man schafft für sich ja auch ein viel klareres Bewusstsein dafür, wie man aufzutreten hat. Manchmal merke ich gar nicht, auf welche Dinge meine Mitspielerinnen so achten. Das ist schon interessant. Aber ich nehme auch die jüngeren Spielerinnen mit in die Verantwortung, damit sie es auch lernen, denn irgendwann bin ich nicht mehr da.
Sie haben eine starke Widerstandskraft. Ist das angeeignet oder kommt das aus dem Elternhaus?
Widerstandsfähigkeit und Hartnäckigkeit habe ich von meinem Vater und von meinem Opa. Ich glaube, es liegt in der Familie. Ich habe auch einen größeren Bruder, gegen den ich mich mal durchsetzen musste. Ich wurde damals ja auch von den gegnerischen Spielern belächelt und beleidigt, als ich noch bei den Jungs gespielt habe. Aber ich habe mich durchgesetzt - mit der Rückendeckung meiner Familie und meines Trainers. Da habe ich diese Widerstandsfähigkeit und die Mentalität auf dem Platz entwickelt.
Das Thema Überlastung ist auch im Frauenfußball angekommen. Sie sind mit dem VfL Wolfsburg noch im Pokal und der Champions League vertreten, hinzu kommen die Länderspiele mit Reisen und die medialen Termine. Ist es wichtig, auf sich aufzupassen?
Natürlich müssen wir aufpassen. Dafür bedarf es einer guten Kommunikation zwischen Spielerin und Trainern, also Vereinstrainer und Bundestrainerin. Viele Spielerinnen haben das ganze Jahr 2022 und auch 2021 viel gespielt. Das waren lange Jahre. Da ist es wichtig, auch mal frei zu haben. Das ist schon wertvoll, und diese freien Tage hat beim VfL Wolfsburg jede Spielerin, die bei der EM war, auch bekommen.
Wie anstrengend sind für Sie eigentlich die vielen Termine und Verpflichtungen, die seit der EM noch neben dem Fußball bedient werden müssen?
Das kann schon anstrengend werden (lacht). Aber wir sind da offen in der Kommunikation mit dem VfL Wolfsburg. Die kennen meine Termine. Es war und ist extrem viel, und ich bin froh, dass ich seit Weihnachten keine Verpflichtungen mehr habe. Ich habe auch Phasen, wo ich mal Zeit für mich brauche und mich erholen muss. Ich habe ja auch private Termine.
Was wünschen Sie sich für 2023?
Persönlich steht für mich die Gesundheit an erster Stelle. Und ich möchte weiterhin glücklich durchs Leben gehen. Das ist für mich sehr wichtig. Und was den Fußball betrifft, hoffe ich für die Vereine der Frauen-Bundesliga, dass dort jetzt infrastrukturell die nächsten Schritte gegangen und die Bedingungen professioneller werden, damit wir im nächsten Schritt vom Profitum sprechen können, weil ich glaube, dass die Bundesliga dann noch besser wird.
Interview: Jörg Jakob, Gunnar Meggers und Michael Richter
Quelle
Popp im großen kicker-Interview: "Was habe ich denn getan?"
In einer Zeit, in der der Fußball in eine Abwärtsspirale geriet, setzte Alexandra Popp (31) ein Glanzlicht. Mit ihren Mitspielerinnen konnte sie die Menschen für sich gewinnen: Die Persönlichkeit des Jahres im kicker-Interview.
Persönlichkeit des Jahres: Alexandra Popp. Getty Images
Ein ganz normaler Dezember-Mittwoch in Wolfsburg. Doch was ist schon normal in diesem Jahr für Alexandra Popp? Zwischen Training und wichtigen Spielen mit dem VfL Wolfsburg in der Champions League, verschiedenen Auftritten in Fernsehsendungen und einem wahren Marathon an PR- und Interviewterminen findet die sportlich wie menschlich herausragende Angreiferin Zeit und Ruhe, um mit dem kicker zu reden. Über den Fußball und was er ihr bedeutet. Und über vieles andere mehr.
Frau Popp, wenn Sie persönlich auf die Ereignisse 2022 zurückblicken, steht wahrscheinlich an erster Stelle die Europameisterschaft, aber auch Ihr persönlicher Weg zur EM. War es für Sie das Größte, dass Sie es doch noch geschafft haben, dabei zu sein?
Ja, absolut. Es war für mich nicht das Schönste, dass ich bei der EM gespielt habe, sondern die Tatsache, dass ich überhaupt dabei sein konnte. Diese Momente miterleben zu dürfen, dass ich mich sportlich zurückkämpfen konnte und das Vertrauen der Bundestrainerin bekommen habe, das war das i-Tüpfelchen.
Ich schaue natürlich gerne zurück und habe auch immer noch Gänsehaut, aber durch das verlorene EM-Finale auch ein bisschen Wehmut. Aber das gehört dazu. Und ich bin sehr glücklich, wie alles gelaufen ist.
Kann man so eine Geschichte rund um die EM planen oder vorbereiten? Oder muss man das mit Gelassenheit angehen, um das zu erfüllen, was man von sich selbst erwartet?
Der Moment, als klar war, dass ich mit zur EM fahren darf, war für mich schon extrem besonders. Aber gleichzeitig waren es ja auch noch ein paar Tage bis zum Turnier - und da kann viel passieren. Insofern war ich da auch noch angespannt.
Den Schalter umgelegt habe ich beim ersten Spiel gegen Dänemark. Ich wurde eingewechselt und hab dann auch noch ein Tor gemacht. Da hatte ich das Gefühl von Freiheit, von einer Gelassenheit und einer extremen Emotionalität. Ich bin ja grundsätzlich auf dem Platz emotional, aber ich war plötzlich auch emotional neben dem Platz. Das war für mich persönlich ungewohnt, mich selbst so zu erleben. Ich hatte damit auch zu kämpfen und es zu verarbeiten, aber diese Freiheit habe ich dadurch nicht verloren. Deswegen lief es dann auch so gut.
Nach dem Viertelfinale gegen Österreich hatte ich das Gefühl, dass ich machen kann, was ich will - und treffe einfach. Und das hatte ich zuletzt bei der U-20-WM 2010. Danach hatte ich dieses Gefühl nie wieder. Es war unglaublich, dass ich das wieder bekommen habe. Auch nach dem Turnier hatte und habe ich es. Ich bin sehr gelassen und entspannt unterwegs. Viele Dinge schätze ich jetzt sehr, nehme auf und neben dem Platz viel mehr wahr. Das hat die EM bei mir ausgelöst - wahrscheinlich, weil es auch meine erste EM war.
Sie waren das Gesicht der EM. Wie sehr haben Sie es genossen, so sehr im Rampenlicht zu stehen? Oder war es auch eine Last?
Ich habe es gar nicht so sehr genossen, und es war auch keine Last. Dass so viel über mich berichtet wurde, hat mich gar nicht interessiert. Das war mir egal. Mir ging es primär um den Erfolg der Mannschaft und dass ich meinen Teil dazu beitragen konnte. Und ich wollte Fußball-Deutschland zeigen, dass ich noch da bin, weil viele mich vorher schon abgeschrieben hatten.
Ist es deshalb so einfach, authentisch zu bleiben, weil Sie sich persönlich nicht so wichtig nehmen?
Als ich gehört habe, dass ich zur Persönlichkeit des Jahres gewählt wurde, habe ich mich gefragt: Was habe ich denn getan? Ich habe Fußball gespielt, und eigentlich war ich nur ich selbst. Es war mir auch immer wichtig, dass ich meine Bodenständigkeit behalte. Das schätzen auch viele an mir. Und es ist mir aber auch wichtig, mir selbst treu zu bleiben. Ich will mich nicht verstellen, sondern authentisch bleiben. Vielleicht war das auch ein Teil des Mannschafts-Erfolges, weil wir als Mannschaft ja auch authentisch waren und damit viele Menschen in unseren Bann ziehen konnten.
Ist es im Nachhinein dann auch nicht mehr so wichtig, dass Sie nicht Europameister geworden sind, weil der Erfolg ohnehin nicht größer sein könnte?
Ich denke darüber nicht so viel nach. Ich bin fast glücklicher darüber, dass wir unglaublich viel Begeisterung entfachen konnten, auch bei Menschen, die den Zugang zum Fußball durch Corona oder andere Umstände verloren hatten. Das ist am Ende mehr wert als ein Titel im Lebenslauf.
Sie haben es also auch so wahrgenommen, dass der Fußball in Deutschland in einer Abwärtsspirale war?
Ja, das Gefühl hatte ich schon.
Woran hat es gelegen?
Ich glaube, dass sich während der Corona-Zeit viele vielleicht aufgrund der finanziellen Dimensionen vom Fußball distanziert haben. Vielleicht haben wir sogar etwas davon profitiert. Wir konnten die Menschen mit unserem Auftreten und der Art, wie wir gespielt haben, für uns gewinnen
Sie sind von Anfang an differenziert mit den Themen Gendern und Equal Pay umgegangen.
Mir ist schon bewusst, dass meine Stimme als Kapitänin der Nationalmannschaft Gewicht hat, auch schon vor der Europameisterschaft. Ich gehöre ja auch schon zu den älteren Spielerinnen. Mir ist aber auch bewusst, dass zu viel und zu laut auch nicht immer das Richtige ist. Das weiß ich auch aus Erfahrungen auf dem Platz (lacht). Von daher bin ich klar in meinen Aussagen und stehe dazu. Ich weiß aber auch, dass nichts von heute auf morgen funktioniert, daher bin ich lieber differenzierter mit meinen Aussagen, als mit der Tür ins Haus zu fallen.
Selbst dann, wenn der Bundeskanzler, der sich während der EM auf Twitter für Equal Pay ausgesprochen hat, Ihnen eine gute Vorlage liefert…
Ja, auch dann (lacht).
Hat Sie das stark gemacht in Ihrer Karriere, dass Sie immer bei sich geblieben sind? Waren Sie als Kind schon so?
Ja, ich war als Kind schon so, dass ich die Sachen gemacht habe, auf die ich Lust hatte und das Gefühl hatte, die tun mir gut. Schon im jugendlichen Alter wurde ich unterstützt, wir hatten früher beim DFB ja auch Medienschulungen. Aber die Bodenständigkeit zu behalten war mir immer wichtig, ist auch nicht immer einfach. Es wurde ja damals schon viel über mich geschrieben und gesprochen.
Ich war ja mit 17 oder 18 medial schon die zweite Birgit Prinz. Das ist nicht einfach. Da hatten meine Eltern schon zu tun, mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, und meine beste Freundin war und ist ein großer Anker für mich. Ich schätze das sehr, dass ich Menschen in meinem Umfeld habe, die mich auf meinem Weg immer begleitet haben. Wenn mich jemand mag, dann mag er mich, und wenn er mich blöd findet, dann ist es eben so. Ich muss auch nicht jeden mögen (lacht).
Ihre Mitspielern Lena Oberdorf hat kürzlich erzählt, dass Sie ihr Anker in der Mannschaft sind. Wie schwer ist es eigentlich, die Rolle als Leaderin und Vorbild dauerhaft einzunehmen?
Das ist schon in Ordnung für mich. Ich bin ja auch in die Rolle reingewachsen, was nicht immer einfach war. Aber ich hatte tolle Persönlichkeiten, die mir geholfen haben: Inka Grings, Annike Krahn haben mich an die Hand genommen. Und irgendwann kommt natürlich der Zeitpunkt, an dem diese Spielerinnen aufhören, und dann stehst du da und bist selber in der Führungsrolle und musst deinen eigenen Weg dafür finden.
Anscheinend habe ich das ganz gut hinbekommen (lacht). Es ist ja auch schön, eine Vorbildfunktion zu haben, und man schafft für sich ja auch ein viel klareres Bewusstsein dafür, wie man aufzutreten hat. Manchmal merke ich gar nicht, auf welche Dinge meine Mitspielerinnen so achten. Das ist schon interessant. Aber ich nehme auch die jüngeren Spielerinnen mit in die Verantwortung, damit sie es auch lernen, denn irgendwann bin ich nicht mehr da.
Sie haben eine starke Widerstandskraft. Ist das angeeignet oder kommt das aus dem Elternhaus?
Widerstandsfähigkeit und Hartnäckigkeit habe ich von meinem Vater und von meinem Opa. Ich glaube, es liegt in der Familie. Ich habe auch einen größeren Bruder, gegen den ich mich mal durchsetzen musste. Ich wurde damals ja auch von den gegnerischen Spielern belächelt und beleidigt, als ich noch bei den Jungs gespielt habe. Aber ich habe mich durchgesetzt - mit der Rückendeckung meiner Familie und meines Trainers. Da habe ich diese Widerstandsfähigkeit und die Mentalität auf dem Platz entwickelt.
Das Thema Überlastung ist auch im Frauenfußball angekommen. Sie sind mit dem VfL Wolfsburg noch im Pokal und der Champions League vertreten, hinzu kommen die Länderspiele mit Reisen und die medialen Termine. Ist es wichtig, auf sich aufzupassen?
Natürlich müssen wir aufpassen. Dafür bedarf es einer guten Kommunikation zwischen Spielerin und Trainern, also Vereinstrainer und Bundestrainerin. Viele Spielerinnen haben das ganze Jahr 2022 und auch 2021 viel gespielt. Das waren lange Jahre. Da ist es wichtig, auch mal frei zu haben. Das ist schon wertvoll, und diese freien Tage hat beim VfL Wolfsburg jede Spielerin, die bei der EM war, auch bekommen.
Wie anstrengend sind für Sie eigentlich die vielen Termine und Verpflichtungen, die seit der EM noch neben dem Fußball bedient werden müssen?
Das kann schon anstrengend werden (lacht). Aber wir sind da offen in der Kommunikation mit dem VfL Wolfsburg. Die kennen meine Termine. Es war und ist extrem viel, und ich bin froh, dass ich seit Weihnachten keine Verpflichtungen mehr habe. Ich habe auch Phasen, wo ich mal Zeit für mich brauche und mich erholen muss. Ich habe ja auch private Termine.
Was wünschen Sie sich für 2023?
Persönlich steht für mich die Gesundheit an erster Stelle. Und ich möchte weiterhin glücklich durchs Leben gehen. Das ist für mich sehr wichtig. Und was den Fußball betrifft, hoffe ich für die Vereine der Frauen-Bundesliga, dass dort jetzt infrastrukturell die nächsten Schritte gegangen und die Bedingungen professioneller werden, damit wir im nächsten Schritt vom Profitum sprechen können, weil ich glaube, dass die Bundesliga dann noch besser wird.
Interview: Jörg Jakob, Gunnar Meggers und Michael Richter
Quelle
Ich glaub ich bin eine Signatur
Denken ist die schwerste Aufgabe ...deshalb befassen sich so wenige damit!
Denken ist die schwerste Aufgabe ...deshalb befassen sich so wenige damit!