Pommesbuden statt Big City Clubs: Darum stürzen die Traditionsvereine ab - Druckversion +- Sportquatschforum (https://sportquatschforum.de) +-- Forum: Bundesliga > 2. Liga > 3. Liga > Amateurligen > Juniorenligen > DFB und DFL (https://sportquatschforum.de/forumdisplay.php?fid=4) +--- Forum: Bundesliga (https://sportquatschforum.de/forumdisplay.php?fid=647) +--- Thema: Pommesbuden statt Big City Clubs: Darum stürzen die Traditionsvereine ab (/showthread.php?tid=14723) |
Pommesbuden statt Big City Clubs: Darum stürzen die Traditionsvereine ab - KLAUS - 21.05.2021 Fußball-Kolumne - Pommesbuden statt Big City Clubs: Darum stürzen die Traditionsvereine ab Von Martin Volkmar Freitag, 21.05.2021 | 17:41 Uhr Abgesehen von Deutschlands Fußball-Metropole München laufen die anderen Millionenstädte Berlin, Köln und Hamburg seit Jahrzehnten der Musik hinterher. Offenbar gilt: Je größer die Stadt, desto größer die Probleme. Die Fußball-Kolumne. 38 Jahre ist es her, dass Thomas Schaaf und Friedhelm Funkel erstmals aufeinander trafen. Der damals 22 Jahre alte Außenverteidiger Schaaf schlug mit Werder Bremen Bayer Uerdingen mit dem sieben Jahre älteren Mittelfeldspieler Funkel mit 3:0. Der erfolgreichen Profikarriere folgte ab den 90ern bei beiden eine noch erfolgreichere Laufbahn als Trainer, doch diese schien spätestens seit Anfang vergangenen Jahres beendet, als Funkel nach dem Rauswurf bei Fortuna Düsseldorf "nie mehr" als Trainer arbeiten wollte. Doch der Routinier ließ sich von Horst Heldt vor wenigen Wochen umstimmen, nochmal als Feuerwehrmann bis Saisonende beim Abstiegskandidaten 1. FC Köln einzuspringen. Noch weniger Zeit zur Rettung hat Schaaf, ihm bleibt nach der Entlassung von Florian Kohfeldt letzten Sonntag vielleicht nur das letzte Bundesligaspiel an diesem Samstag, um Werder vor dem Absturz in die Zweite Liga zu bewahren. "Weil ich mit dem Verein so verbunden bin und so eine Historie habe. Darum habe ich zugesagt", erklärte der bisherige Technische Direktor, der 14 Jahre Bremer Chefcoach war und in dieser Zeit eine Meisterschaft und drei DFB-Pokale gewann. Abstiegskampf: Bielefeld der lachende Dritte? Meriten, die ihm am Samstag aber ebenso wenig helfen werden wie Funkel die Tatsache, dass er nach Jupp Heynckes und Rehhagel die drittmeisten Bundesligaspiele als Trainer und Spieler absolviert hat. Gut möglich sogar, dass der im Vergleich dazu als Youngster durchgehende Frank Kramer (49) mit Arminia Bielefeld im Abstiegs-Dreikampf der lachende Dritte sein wird und mindestens eine der beiden Legenden als Gescheiterter aufhören muss. 1983, beim ersten Duell zwischen Schaaf und Funkel, war Kramer gerade mal elf Jahre alt und die Welt eine andere, auch im Fußball. Pokalsieger wurde der 1. FC Köln, Meister und Europapokalsieger der Landesmeister wurde der Hamburger SV. Seitdem haben die Geißböcke nichts mehr gewonnen, sind aber sechsmal abgestiegen. Und der HSV, der immerhin 1987 nochmal den Pokal, danach aber auch nichts mehr holte, versucht sich seit drei Jahren vergeblich und immer verzweifelter an der Bundesliga-Rückkehr. Mittlerweile sind selbst die hämischen Kommentare über das anhaltende Versagen der Hanseaten kaum noch zu hören, das traurige Bild des abstürzenden Bundesliga-Dinos erzeugt fast nur noch Mitleid. Zur beliebtesten Zielscheibe für Hohn und Spott ist dagegen in den vergangenen zwei Jahren Hertha BSC geworden. Hertha: 374 Millionen, vier Trainer, zwei Abstiegskämpfe Damals stieg Investor Lars Windhorst beim Hauptstadtklub ein und erklärte sein Engagement mit der Begeisterung für den "Big City Club". Seitdem wurden zwar 374 Millionen von Windhorsts Tennor Holding an die klamme Alte Dame überwiesen, aber die Hertha verschliss drei Trainer und spielte zweimal bis kurz vor Saisonende gegen den Abstieg. Erst Rückkehrer Pal Dardai, nach Windhorsts Einstieg auch wegen vermeintlich zu wenig attraktiver und zeitgemäßer Spielphilosophie aussortiert, führte das Team zum Klassenerhalt. "Es ist nicht böse gemeint, aber diese Big-City-Geschichte damals - ein Leben lang bleibt das bei uns ein bisschen negativ", erklärte der Ungar nun spürbar genervt. Auch im Verein rollt man beim Big-City-Wort ebenso mit den Augen wie bei der Klassifizierung vom "schlafenden Riesen", die Ex-Sportchef Dieter Hoeneß einst gerne nutzte, um das riesige Potenzial von Verein und Stadt zu betonen. Wobei das im Grundsatz ja nicht mal falsch ist. "Fakt ist, dass der Begriff 'Big City Club' beschreibt, dass Hertha der Fußballverein der größten Stadt Deutschlands ist", erklärte etwa Windhorst. Das Problem allerdings: Größe allein ist kein Kriterium für Erfolg - und im deutschen Fußball gilt das umso mehr. Große Städte = große Probleme Daher schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung schon 2015 von der "Agonie der Bundesliga-Dinos": "Zu viel Eitelkeit, zu wenig Kompetenz. Zu viel Beharrung, zu wenig Erneuerung. Die großen Klubs wie der Hamburger SV, Hannover 96, Hertha BSC Berlin oder der VfB Stuttgart finden keine Mittel mehr, um ihren Niedergang aufzuhalten." Dieses Jahr gilt das zwar nicht für die Stuttgarter, die als Aufsteiger eine starke Saison gespielt haben - allerdings 2019 nach einer guten ersten Spielzeit nach Wiederaufstieg im zweiten Jahr auch wieder abstiegen. Auffällig ist vor allem, dass in der jüngeren Vergangenheit Vereine aus den größten Städten die größten Probleme hatten. Außer dem unangefochtenen Rekordmeister FC Bayern aus Deutschlands Fußball-Hauptstadt München sind - abgesehen von Union Berlin - die Klubs aus den anderen drei Millionenstädten Berlin, Hamburg und Köln eher zweit- denn erstklassig. Nicht viel anders sieht es beim Blick auf die 15 größten deutschen Städte mit mindestens 500.000 Einwohnern aus: Bremen droht der Abstieg (Nr. 11), Fortuna Düsseldorf (7), Hannover 96 (13) und der 1. FC Nürnberg (14) sind Zweitligisten, Dynamo Dresden (12) und der MSV Duisburg (15) aktuell Dritt-, RW Essen (10) sogar Viertligist. "Tradition behindert", kommentierte die FAZ die traurige Bestandsaufnahme am Freitag. Uli Hoeneß trauert um abgestürzte Traditionsklubs "Es ist ein Drama. Wenn wir diese Mannschaften dauerhaft in der Bundesliga hätten, wäre sie noch populärer und attraktiver", sagte Uli Hoeneß bereits vor zwei Jahren. Die Schuld dafür liege aber nicht bei bösen Mächten: "Das ist oft ein Managementproblem." Noch drastischer drückte es der Wirtschaftswissenschaftler Henning Zülch von der HHL Leipzig Graduate School of Management aus. "Die Traditionsvereine bekommen über kurz oder lang Probleme, weil sie mit ihren Strukturen nicht zurechtkommen. Die werden in einigen Bereichen immer noch wie Pommesbuden geführt", sagte er der Welt. Toxische Mischung als Formel für den Niedergang In der Tat liegen die meisten Abstürze von Traditionsklubs, für die exemplarisch auch einstige Meister wie 1860 München und der 1. FC Kaiserslautern stehen, an einer toxischen Mischung aus Missmanagement, fatalen personellen Fehlurteilen, Selbstüberschätzung und Ungeduld. Zu oft wurde vergeblich die schnelle Rückkehr ganz nach oben mit riskanten Wetten auf eine vermeintlich goldene Zukunft angegangen, am Ende stand und steht in vielen Fällen sportlicher und wirtschaftlicher Niedergang. Gerade in den Großstädten stehen die Traditionsklubs unter dem Brennglas der mitfiebernden Öffentlichkeit und der zahlreichen Medien, deren lokale Boulevardmedien oft nicht nur die Unruhe anheizen, sondern auch Vereinspolitik massiv zu beeinflussen versuchen. "Wo es kompliziert wird: wenn Fans und Boulevardpresse mitreden und mitregieren, klassisches Merkmal von Traditionsfirmen", kommentierte die Süddeutsche Zeitung. Wer sich auf dieses Spiel einlässt, hat meist schon verloren - davon können viele geschasste Verantwortliche in den genannten Standorten manches bittere Lied singen. Denn ein wiederkehrendes Merkmal der vielen Abstürze sind permanente Führungswechsel in Vorstand, Management und auf der Trainerbank, fast nie hat diese Sündenbock-Politik aber den Erfolg zurückgebracht. Erfolgsgeheimnis der "Kleinen": Ruhe und Kontinuität Daher wundert es kaum, dass sich gerade kleinere Klubs wie Mainz, Augsburg oder Freiburg in der Bundesliga etablieren konnten. Weniger Interesse, aber eben mehr Ruhe für kontinuierliche Arbeit auch in Krisenzeiten. So lautete das Mantra von Andreas Rettig als Manager sowohl in Freiburg als auch in Augsburg, man wolle zu den 20 besten Klubs Deutschlands gehören - eine pragmatische Selbsteinschätzung, die einen Abstieg nicht als Weltuntergang begreift, sondern als realistische Option in die Planungen einschließt. Damit fahren die so genannten "Kleinen" bestens: Freiburg spielte seit 2010 nur in einem Jahr nicht in der Bundesliga, der FCA ist seit 2011 und Mainz sogar seit 2009 Dauergast im Oberhaus. Zweite Liga wird zum Sammelbecken der Gescheiterten Im Unterhaus dagegen drängen sich künftig die einstigen Topklubs vergangener Zeiten: Vielleicht mit Bremen und Köln sowie aus der dritten Liga 1860 und Rostock, sicher mit Schalke, Dresden und dem HSV sowie den Ex-Erstligisten Düsseldorf, Nürnberg, Hannover, Karlsruhe, Darmstadt, St. Pauli und Paderborn. "Die Liga wird gerade zum Sammelbecken altehrwürdiger Klubs, die mit sich selbst nicht klarkommen", schrieb die SZ. Daher könnte die Vorfreude einiger Fans auf dieses Wiedersehen der alten Größen schnell verpuffen, denn angesichts des Überangebots von selbst erklärten Aufstiegskandidaten wird es am Ende logischerweise mehr Verlierer als Gewinner geben. Zumal es auch in der Zweiten Liga die vermeintlichen "Kleinen" wie Aue, Regensburg oder Heidenheim gibt, die sich mit seriöser Arbeit etabliert haben und keineswegs aus Respekt vor dem verblichenen Glanz der Traditionsklubs die Punkte freiwillig abgeben werden. Im Gegenteil, wie man den Worten von Heidenheims Sportvorstand Holger Sanwald entnehmen kann: "Jeder Verein, der diese Liga unterschätzt, macht schon den ersten Fehler." zum Artikel |